Blog Blindgaengerin

45 Years

Das Edelmetall Silber ist ein chemisches Element, hat eine weißliche Farbe und wird vorzugsweise zu Schmuck verarbeitet.
Messing ist das Produkt einer künstlich erzeugten Legierung aus den Metallen Kupfer und Zink. Seine Farbe variiert zwischen goldbraun und goldgelb, je nach der Konzentration des Kupfer- oder Zinkanteils. Aus Messing werden Türklinken und Kerzenständer gefertigt, Messingbeschläge zieren alte Holzboote.
Bei der diesjährigen Berlinale gab es gleich zweimal Silber für eine Messinghochzeit.
Mit den Silbernen Bären honorierte die Jury die herausragende schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller Charlotte Rampling und Tom Courtenay in dem Film „45 Years“.
Die beiden stecken als das Ehepaar Kate und Geoff Mercer in einem Vorbereitungscountdown für ein großes Fest, mit dem sie ihren 45. Hochzeitstag, die Messinghochzeit, feiern möchten.
Seit langem werden Hochzeitsjubiläen feierlich begangen und jeder Feiertag hat einen eigenen Namen mit entsprechenden Bedeutungen und Bräuchen.
Los geht es bereits mit dem ersten Jahrestag, der Papierhochzeit. Im 18. Jahrhundert gab es den Brauch, daß sich die Eheleute nach 35 Jahren zur Leinwandhochzeit auf einer Leinwand verewigen ließen.
Hätte ich geheiratet, feierte ich dieses Jahr die Perlenhochzeit. Auch ohne das behördlich dokumentierte und kirchlich abgesegnete Ja-Wort reihen sich 30 Perlen auf der Perlenkette, einfach nur aus Liebe, erst recht ein Grund zum Feiern!
Üblicherweise werden Hochzeitsjubiläen zwischen den Eheleuten oder im engsten Familienkreis begangen. Kate und Geoff wollen ihre Messinghochzeit genau so wie damals ihre Hochzeit feiern: Mit einem rauschenden Fest in einem festlich geschmückten großen Saal, mit all ihren Freunden.
Wie beim Messing das Kupfer und das Zink, gehen die Ehepartner eine Verbindung ein. Nach 45 Jahren sind sie aufeinander eingespielt und eine Trennung scheint höchst unwahrscheinlich. Sinnbildlich ist die Ehe nun genauso hart und schwer verformbar wie Messing.

Soweit jedenfalls die Theorie!

Mitten in die Vorbereitungen des Jahrestages flattert ein an Geoff adressierter Brief aus der Schweiz ins Haus.
Die Schweizer Behörden teilen ihm mit, daß man jetzt seine vor 50 Jahren tödlich verunglückte Jugendliebe aus einer Gletscherspalte bergen konnte.
Bei einer gemeinsamen Wanderung, begleitet von einem ortskundigen Führer, war Katya damals vor Geoffs Augen in die Tiefe gestürzt.
Dieser Brief vermag es, sowohl die Alltagsroutine als auch den Hochzeitstagsvorbereitungsmarathon empfindlich zu stören.

Die Kameraführung läßt sich viel Zeit, die Blicke und Gesten der beiden einzufangen, mit denen sie ihre sich langsam ändernden Gefühle für einander zum Ausdruck bringen.
So nahe sich Kate und Geoff zu sein schienen, so erschreckend ist es anzuschauen, wie sich Kate allmählich in die Eifersucht auf Geoffs Liebe weit vor ihrer Zeit hineinsteigert und alles heutige in Frage stellt. Geoff wird von der Nachricht 50 Jahre zurückkatapultiert. Er hängt den Erinnerungen an seine erste große Liebe nach und sein Interesse an den Vorbereitungen für den großen Tag bewegt sich gegen null. Als Kate ihn so lange löchert, bis er offen ausspricht, daß er Katya geheiratet hätte, die auch noch ein Kind von ihm erwartete, gibt ihr das den Rest.

Der Volksmund sagt, die Augen seien das Tor zur Seele.
Geöffnet wird das Tor über den Augenkontakt. Mit einem Blick in die Augen läßt sich die Gefühlsregung des Gegenübers ergründen und Nähe aufbauen. Um sich zu verstehen, reichen Blicke und es bedarf keiner Worte.
Diese Möglichkeit der Kommunikation, von der Kate und Geoff reichlich Gebrauch machen, bleibt mir leider versagt. Ich brauche das gesprochene Wort oder zumindest ein zu hörendes Seufzen, Atmen, Ächzen, und versuche anhand der Stimmung der Stimme, die Gefühlsstimmung zu erraten. Schon die kleinste Veränderung der Mimik, z.B. der Mundwinkel oder der Augenbrauen, wirkt sich für mich hörbar auf die Stimme aus. Man wird wohl kaum im Brustton der Überzeugung etwas in die Welt posaunen und dabei überrascht eine Augenbraue nach oben ziehen.
Sehr treffend hat es ein Texter namens Günther Damm 1968 auf den Punkt gebracht:
„Wenn die Augen das Tor zur Seele sind, sind die Ohren der Geheimgang.“
Aber was nutzen mir meine Ohren, wenn eben nicht gesprochen, sondern nur geblickt und gestikuliert wird?
Die Rettung ist wieder einmal die Hörfilmbeschreibung.
Neben „Fack ju Göhte 2“ ist „45 Years“ der zweite am Donnerstag vor zehn Tagen gestartete Film, bei dem die Hörfilmbeschreibung mit der App von Greta über den Geheimgang in mein Ohr gelangte.
Selten haben die Bildbeschreiber die Gelegenheit, die Menschen, ihr Verhalten und das Umfeld so detailliert zu beschreiben, wie bei diesem Film der wenigen Worte.
Ich glaube, kein Blick, Achselzucken, zur Seite schauen, einfach jede noch so minimalistische Nuance und Veränderung der Körperhaltung und der Mimik wurde mir vorenthalten. Das Haus der beiden habe ich mir vor meinem geistigen Auge eingerichtet. Dank der Spaziergänge Kates mit dem Hund Max konnte ich mir auch von der ländlichen Gegend der britischen Grafschaft Norfolk eine Vorstellung machen. Max‘ Beschreibung wurde, glaube ich, vergessen. Der Text der Bildbeschreibung hat mir sehr gut gefallen. Mit der Stimme der Sprecherin, oder vielmehr ihrer Sprachmelodie, konnte ich nicht so recht warm werden.

Trotz aller Irrungen und Wirrungen der Gefühle lassen sich zu guter Letzt die Eheleute dann doch von ihren Freunden zur Messinghochzeit gratulieren und feiern. Geoff kämpft bei seiner Ansprache an die Geladenen mit den Tränen. Er eröffnet mit Kate zu ihrem Song von damals den Tanz, der vielleicht der letzte der beiden sein könnte.

Eine sehr nette Frau hatte mich schon an der Kinokasse unter ihre Fittiche genommen und wir verließen beide gleichermaßen beeindruckt von dem Film das Kino.
Ich konnte sie allerdings nicht wirklich davon überzeugen, daß und wie sich mir der für die Augen gemachte Film nur über die Ohren erschließen konnte.

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