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Señor Kaplan

Ein Kaplan ist der Inhaber eines geistlichen Amtes, heißt auf polnisch „Priester“ und auf türkisch „Tiger“. Ein Asteroid namens Kaplan kreist um die Sonne, der gleichnamige Ort im US-amerikanischen Bundesstaat Louisiana tut das zwar auch, ist dabei aber nicht so allein. Ansonsten ist Kaplan sowohl als Vorname als auch über den gesamten Globus verteilt als Familienname zu finden.
Jacobo ist einer dieser Namensträger und die liebenswerte Hauptfigur des Filmes „Señor Kaplan“.

Als kleiner Junge ist er der Einzige einer jüdischen Familie, der kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges der damals tödlichen Falle Polen in Richtung Südamerika entkommt.
Dem Großvater des Regisseurs Álvaro Brechner aus Uruguay widerfuhr einst ein ähnliches Schicksal.

Jacobo strandet in Montevideo, der Hauptstadt des kleinsten spanischsprachigen, im südlichen Südamerika gelegenen Staates Uruguay mit drei Us.
Dort lebt er bis heute glücklich mit seiner Frau Rebecca, seinen beiden erwachsenen Söhnen und der 18-jährigen Enkelin Lotti.
Inzwischen 77 Jahre alt, führt er ein recht unbeschwertes, von der Sonne verwöhntes Rentnerdasein.
Uruguay ist ungefähr halb so groß wie Deutschland. Von den ca. 3,4 Millionen Einwohnern leben knapp 40% in der Hauptstadt. Montevideo gilt als eine der zehn sichersten Städte Lateinamerikas und als die mit der höchsten Lebensqualität.
Eigentlich gibt es für Jacobo, der rege am gesellschaftlichen Leben der jüdischen Gemeinde teilnimmt, keinen Grund zum Meckern, wären da nicht die allmählich sich anschleichenden Alterserscheinungen. Die Knochen tun ihre Dienste nicht mehr so zuverlässig wie gewohnt und das nachlassende Sehvermögen macht ihm besonders zu schaffen. Das Autofahren ist inzwischen eine Mutprobe für den Beifahrer und nach einer Karambolage mit Blechschaden ist die Pappe weg, da hilft auch kein Schummeln beim Sehtest. Aber sein Hauptproblem ist die große Frage nach dem Sinn des Lebens. Vom Alltag gelangweilt, sehnt er sich danach, für die Nachwelt ein außergewöhnliches Denkmal von sich zu setzen, die Welt einfach ein bißchen besser zu machen, wie auch immer.
Unverhofft kommt oft, und zwar beim heimlichen Rauchen mit seiner immer mit Kopfhörern zugestöpselten Enkelin auf dem Balkon nach einem Abendessen mit der versammelten Mischpoke.
Auf die Frage des Großvaters, wo und wie sie ihre Freizeit verbringt, erzählt Lotti von einem bei den Jugendlichen beliebten Strand mit einer Strandbar, von deren Besitzer, einem älteren Deutschen, alle ganz selbstverständlich als von „dem Nazi“ sprechen.
Schlagartig wittert Jacobo die Chance seines Lebens, einen Altnazi, der sich wie so viele nach dem Kriegsende nach Südamerika abgesetzt hatte, seiner längst überfälligen Strafe in Israel zuzuführen.
Da kommt ihm Wilson, der Jacobo von seiner Familie eigentlich als Chauffeur aufs Auge gedrückt wird, als Helfershelfer gerade recht. Der dem Alkohol sehr zugeneigte Pechpilz Wilson wurde gerade zu Unrecht unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassen und von Frau und allen fünf Kindern verlassen, von allen guten Geistern irgendwie auch.

Das Dreamteam macht sich also sehr auffällig und ungeschickt ans Recherchieren, zieht nicht unbedingt immer die richtigen Schlußfolgerungen, und schlittert von einem Schlamassel ins nächste. Immer wieder läßt sich Wilson von Jacobos Einfällen und Ungeschick zu wahnsinnigem Gelächter hinreißen. Eine dieser gar nicht enden wollenden Lachsalven ruft Jacobo mit seinem Plan hervor, den Nazi zu kidnappen und über den Seeweg mit einem kleinen Fischerboot nach Israel zu verschleppen. Die Lachsalve auch deshalb, weil die beiden passionierte Nichtschwimmer sind.
Bei ihren ungeschickten Observierungen an dem wunderschönen Traumstrand des Atlantischen Ozeans stellen sie vor allem fest, daß sich der durchtrainierte Deutsche wie ein Fisch im Wasser bewegt. Als der sich von dem Duo verfolgt fühlt, spricht er eine scharfe Drohung aus.
Aber letzten Endes gehen dann alle drei gemeinsam baden.

Bis zur letzten Filmminute konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich Jacobo ein Gelingen seiner Mission wünsche und ob er sich mit der Überführung des Julius Reich ein Denkmal als Weltverbesserer setzen kann oder er sich einfach schrecklich irrt.
Letztlich hat mir der Regisseur die Entscheidung darüber abgenommen.

Die vielen Dialoge werden, besonders wenn die Kaplans unter sich sind, in einem rasanten südamerikanisch-temperamentvollen Tempo gesprochen. Die Sprecherin der Audiodeskription, deren schöne klare Stimme es mir angetan hat, mußte sich ganz schön sputen, alle Informationen rechtzeitig in den Pausen unterzubringen, was ihr immer gelungen ist.
Bei der Familie Kaplan fliegen verbal ganz schön die Fetzen. Die sehr unterschiedlichen Söhne Jacobos beharken sich und die besorgte Rebecca schimpft ständig mit ihrem störrischen Gatten, der heimlich raucht und trotz eines Schlaganfalles einfach nicht von seinem Vorhaben abrückt. Die Enkelin Lotti ist die Einzige, die ihren geliebten Großvater so nimmt, wie er ist.
Das Tempo der Erzählung wird auch von der Musik bestimmt, mal von jüdischer Folklore, mal von wunderschönen lateinamerikanischen Rhythmen.

Rolf Becker, der als der Deutsche Julius Reich eine sehr gute Figur macht, meinte bei der Premierenvorstellung im Kinosaal sinngemäß:
Dem Regisseur Álvaro Brechner ist es bei „Señor Kaplan“ ebenso wie unter anderem Ernst Lubitsch bei dem Film „Sein oder Nichtsein“ gelungen, eine Geschichte aus dem düsteren Kapitel deutscher Vergangenheit mit einer erträglichen Leichtigkeit zu erzählen.

Das ist ein schönes Schlußwort!

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