Blog Blindgaengerin

Juni 2016

Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika

Kannst Du Dir vorstellen, hier zu leben? Das fragten sich der Schauspieler und Entertainer Joachim Fuchsberger und seine Frau Gundula immer wieder bei ihren zahlreichen Reisen rund um den Erdball. In Australien bzw. Tasmanien waren sie sich schließlich einig. Seit dem Jahr 1983 hatten die Fuchsbergers neben München einen zweiten Wohnsitz in Hubart, der Hauptstadt Tasmaniens. Im selben Jahr wurde in Salzburg auf dem Kapuzinerberg eine Büste von Stefan Zweig aufgestellt. Genau dort wollte der am 28. November 1881 in Wien geborene Schriftsteller leben. Der Doktor der Philosophie Stefan Zweig pflegte einen großbürgerlichen Lebensstil. Schon vor den zwanziger Jahren unternahm er Reisen nach Indien, Amerika und 1928 in die Sowjetunion. Nie hatte er jedoch Ambitionen, irgendwo anders als in seiner Heimat Österreich zu leben. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges kaufte er das baufällige Paschinger Schlössl am Kapuzinerberg, das er ab 1920 mit seiner Ehefrau Friderike und deren beiden Töchtern bewohnte. Schon sehr früh nahm der jüdische Schriftsteller, Humanist und Pazifist die nationalsozialistische Bedrohung ernst. Sie befand sich quasi in Sichtweite seines Hauses, auf dem Obersalzberg, Hitlers Domizil. Als er dann auch noch denunziert wurde und eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen mußte, nahmen im Februar 1934 seine Salzburger Jahre ein jähes Ende. Zwei Tage nach diesem Vorfall machte er sich allein auf den Weg nach London. Er sollte seine Heimat, den Kapuzinerberg in Salzburg, nicht mehr wiedersehen. „Vor der Morgenröte“ des 23. Februar 1942 nahm sich der 60-jährige im Exil in Petropolis bei Rio de Janeiro das Leben. Die Regisseurin Maria Schrader läßt den österreichischen Schauspieler Josef Hader als Stefan Zweig an der dramatischen Entwicklung zunächst in dessen Heimat und später in ganz Europa vom sicheren Amerika aus verzweifeln. Daß er dabei so überzeugt, liegt an Haders Schauspielkunst. Mit wem er an welchen Orten unter welchen Umständen in Amerika zusammentrifft, stammt aus den feinfühlig und geschickt geführten Federn der Drehbuchautoren Maria Schrader und Jan Schomburg. Und wie das fern der Heimat nun einmal so ist, man spricht kaum deutsch! Das war für die rundum gelungene Arbeit der Hörfilmbeschreiber eine zusätzliche und große Herausforderung. Mit insgesamt zehn Sprechern und Sprecherinnen wurden ähnlich wie beim Synchrondolmetschen die vielen englischen, französischen, spanischen und portugiesischen Dialoge übersetzt, ohne die Originalstimmen dabei zu übertönen. Müßte ich mich für eine zweite Heimat entscheiden, wäre das Frankreich, wo ich mich auch gerade aufhalte. Aber nach einer Weile würde ich die deutsche Sprache, in der ich mich zu Hause fühle, doch sehr vermissen. Das wird Stefan Zweig im Exil nicht anders gegangen sein. Anläßlich des Schriftstellerkongresses in Südamerika im September 1936 gedenken die dort in Sicherheit gelangten Autoren ihrer zurückgebliebenen Kollegen. Es wird sehr heftig und kontrovers über die Formulierung einer gemeinsamen politischen Verurteilung Deutschlands diskutiert. Zweig fühlt sich als Außenseiter und seine Verzweiflung wird dort zum ersten Mal deutlich sichtbar. Alle Namen auf der Liste der im Jahr 1935 verbotenen Autoren, deren Bücher den Flammen zum Opfer gefallen waren, werden verlesen. Hoffentlich wiederholt sich solch ein frevelhaftes Spektakel in der Geschichte nie wieder. Die in den digitalen Medien üblichen Shitstorms finde ich schon schlimm genug. Etwas irritiert an Stefan Zweigs Biographie hat mich, daß er 1934 ohne seine Familie nach London floh. Während seines Aufenthaltes in England begann er ein Verhältnis mit seiner Sekretärin Lotte, die er 1939 heiratete. Seiner geschiedenen Frau gelang 1941 gerade noch rechtzeitig und unter großen Strapazen mit ihren Töchtern die Flucht nach New York, wo sich die geschiedenen Eheleute auch noch einmal trafen. Von den Filmfrauen hat mich seine erste, gespielt von Barbara Sukowa, sehr viel mehr überzeugt. Das ist jetzt sehr gewagt, aber vielleicht hätte sie Zweigs Suizid verhindern können? In dem auf Deutsch verfaßten Abschiedsbrief schrieb Zweig unter anderem, daß ihn die Zerstörung seiner „geistigen Heimat Europa“ entwurzelt hätte. Er hielt es nicht einmal bis zur Morgenröte des 23. Februar aus, geschweige denn, daß er bis zum Ende des Krieges im Exil hätte ausharren können. Seine Frau Lotte ist ihm in den Tod gefolgt. Der Berliner Schriftsteller und Journalist jüdischer Herkunft Ernst Feder (Matthias Brandt) traf im Sommer 1941 mit seiner Frau in Petropolis ein. Er verbrachte viel Zeit mit Zweig, z.B. beim Schachspiel, und sah ihn als Letzter lebend. Erst 1957 ging Feder zurück in seine Heimatstadt, wo er 1964 verstarb. Die Entscheidung der Fuchsbergers, sich in Tasmanien niederzulassen, war eine Luxusentscheidung. Aber auch sie kehrten nach einigen Monaten immer wieder in ihre Heimat nach München zurück.

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Lola

Die Lola zählt mittlerweile 17 Jahr, hat kein blondes Haar und auch keines in einer anderen Couleur. Auch wenn sie welches hätte, wäre für sie ein graues Haar kein Thema. Ebenso wenig braucht sie sich über das ein oder andere Fältchen oder ihre schlanke Linie Gedanken zu machen. So ist das, wenn man als 30 cm große und ca. 3,5 Kilo schwere heiß begehrte Trophäe des Deutschen Filmpreises Jahr für Jahr eine hervorragende Figur macht. Vor ihrer Zeit überreichte man den Preisträgern ein Filmband in Gold oder Silber. Dieses Motiv griff die in New York lebende Designerin Mechthild Schmidt auf. Zuerst entwickelte sie die Statuette der Lola, um sie dann zu umwickeln. Sie umhüllte deren zweifelsfrei weibliche Reize mit einem stilisierten güldenen Filmband. Damit ist eine Irreführung über das Geschlecht der Lola wie in dem gleichnamigen Song der Kinks aus den 70er Jahren ausgeschlossen. Der erste Einsatz der Lola beim Deutschen Filmpreis von 1999 war schon deshalb spektakulär, weil sie der jüngsten ihrer drei Namensgeberinnen gleich achtmal in die Hände fiel. Das war „Lola rennt“ mit Franka Potente. Die beiden anderen Lolas spielten Barbara Sukowa in Rainer Werner Fassbinders Film „Lola“ und Greta Garbo in „Der blaue Engel“. Beim ersten Deutschen Filmpreis 1951, schon sechs Jahre nach Kriegsende, hieß der eine große Gewinner „Das doppelte Lottchen“ nach dem Buch von Erich Kästner. Wenn die Nominierungen und Kategorien damals auch noch sehr übersichtlich waren, ging‘s von da an in jeder Hinsicht stets bergauf. Dieses Jahr wetteiferten beim Deutschen Filmpreis am 27. Mai im Palais am Funkturm 19 Filme in 19 Kategorien um die Lola. Neben dem Prestige locken zusätzlich nicht zu verachtende Preisgelder. Die Bundesregierung, vertreten durch ihre Beauftragte für Kultur und Medien, ließ sich die Lolas dieses Mal ca. 3 Millionen Euro kosten. In der Kategorie „Bester Spielfilm“ sind jedem der sechs Filme bereits mit seiner Nominierung 250.000 Euro sicher. Aber die Gelder sind zweckgebunden. Sie müssen in neue Filmprojekte investiert werden und kommen also irgendwann dem Kinobesucher zugute. Die Preisträger werden in einem sehr transparenten und demokratischen Verfahren von den 1.800 Mitgliedern der Deutschen Filmakademie e. V. gewählt. Und jetzt ein Satz mit zwei X! Die Filmakademie zeichnete dieses Jahr den Mitbegründer der X Filme Creative Pool und des X Verleihs mit dem von ihr gestifteten und undotierten Bernd Eichinger Preis aus. Damit ehrt sie Stefan Arndt für seinen langjährigen maßgeblichen Beitrag zur Kinokultur im Sinne des 2012 verstorbenen Namenpatrons des Preises. Der kleinste gemeinsame Nenner der diesjährigen 19 nominierten Filme inklusive der Kinder- und Dokumentarfilme ist, daß für jeden Film eine barrierefreie Filmfassung erstellt wurde. Jetzt noch ein Satz mit einem X: Bei immerhin neun dieser Filme und dem Publikumspreisträger „Fack ju Göhte 2“ bekommen die Zielgruppen mit der App Greta und Starks in wirklich jedem x-beliebigen Kino die Audiodeskription und Untertitel auch tatsächlich ins Ohr oder vors Auge. Das ist nur dank des außerordentlichen Engagements des jeweiligen Verleihs möglich. Dazu gehört zum Beispiel der X Verleih, der all seine deutschen Filme auf diese Weise für Blinde und Gehörlose im Kinosaal erlebbar macht. Trotzdem, liebe Filmverleiher: Neun von 19, da geht noch was! Allerdings hatte auch die Filmakademie den Punkt „barrierefreie Filmfassung“ und deren Zugänglichkeit bei ihrer Entscheidung wahrscheinlich eher nicht auf dem Schirm. Um diesem in der Filmbranche nicht selten vorherrschenden Phänomen entgegenzuwirken, plädiere ich für eine weitere Kategorie beim Deutschen Filmpreis, nämlich eine „BARRIEREFREIE LOLA“, eine Auszeichnung für die beste barrierefreie Filmfassung. Die Erstellung von Audiodeskriptionen und Untertiteln mit einem qualitativ hohen Niveau ist sehr arbeitsintensiv. Diese spezielle Kunstform sollte auch beim Deutschen Filmpreis entsprechend gewürdigt werden. Der DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband) tut das als Vorreiter bezüglich der Audiodeskription im Rahmen des von ihm veranstalteten Deutschen Hörfilmpreises bereits seit 14 Jahren. Für die Untertitel für Gehörlose scheint es keine vergleichbare Veranstaltung zu geben. Immer, wenn es um die Auszeichnung von Filmen geht, sollte auch die barrierefreie Filmfassung als gleichberechtigter Partner mit einbezogen werden, um diese von ihrem Image als notwendiges Anhängsel zu befreien, ja genau!!! Nach der Vorstellung Mechthild Schmidts soll die Figur der Lola Inspiration und Muse, aber auch Dynamik und Wandel verkörpern. Nächstes Jahr feiert die Lola ihren 18. Geburtstag und wird damit volljährig. Dann darf und sollte sie auch mehr Verantwortung tragen. Ich lege das Schicksal einer barrierefreien Lola vertrauensvoll in ihre goldenen Hände!

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