Blog Blindgaengerin

Hinter und vor den Kulissen

Zu Ende ist die blogfreie Zeit hinter den Kulissen!

Nach einer zweiwöchigen Atempause am Mittelmeer war ich bis jetzt nur im Verborgenen und dort vor allem für die Kinoblindgänger gGmbH aktiv.
Immer wieder feilte ich an dem Offenen Brief für unsere Initiative „Zwei Barrierefreiheits-Lolas beim Deutschen Filmpreis“. Jetzt geht es daran, die Öffentlichkeitskampagne zu organisieren. Einen Starttermin zu nennen, wage ich aber noch nicht.

Am 28.06. lud Facebook mit dem Deutschen Fundraisingverband e.V. und betterplace.org zum NGO-Tag 2018 in Berlin ein. Diese Veranstaltung richtete sich exklusiv an gemeinnützige Organisationen. Sieben Stunden lang prasselten Informationen zum Thema Online-Fundraising auf mich ein. Neben vielen sehr netten Gesprächen konnte ich auch einige neue Erkenntnisse mit nach Hause nehmen, wie die spärlich gefüllte Kasse von Kinoblindgänger gGmbH aufgebessert werden könnte!
Diesbezüglich hat sich vor kurzem eine tolle Möglichkeit aufgetan. Eine Kooperation, über die ich mich sehr freue, und über die ich in Kürze berichten werde.

Jetzt aber nix wie raus aus den Kulissen und auf die Plätze davor!

Gleich geht zum vorletzten Mal der Vorhang auf für

„Metamorphosen“

Und den Göttern und Halbgöttern sei Dank: An diesem Abend mit Live-Audiodeskription!
Zeus und Konsorten hatten dabei ihre Hände allerdings nicht im Spiel. Vielmehr geht dies auf das Konto der engagierten Leute von der Jugendtheaterwerkstadt Spandau in Berlin.

Wie bei solchen speziellen Theateraufführungen üblich, durften wir Gäste mit Sehbeeinträchtigung vorher in die Kulissen, um die Requisite zu erkunden. Auf der Bühne stand nur ein vier Meter hoher schwarzer von innen begehbarer Turm. Dort begrüßte uns das 19-köpfige Ensemble mit einem fröhlichen Hallo. Da war mir sofort klar, die Figuren des Stücks nur nach den Stimmen sortieren zu wollen, wäre aussichtslos. Und das erst recht, weil jeder der Darsteller zwischen 19 und 78 Jahren im Schnitt vier bis fünf verschiedene Rollen übernimmt. Das macht zusammen knapp 100, was auch mit Audiodeskription eigentlich kaum zu vermitteln ist.
Aber Anke Nicolai ist eine erfahrene Texterin und Sprecherin von Live-Audiodeskriptionen. Sie konnte uns so oft wie möglich das turbulente Treiben auf der Bühne entwirren und mit ihrer ruhigen angenehmen Stimme meist nur stichwortartig erzählen, wer mit wem wie und wo als was gerade agierte. Das war eine großartige Leistung!
Ich könnte mir vorstellen, daß davon auch die sehenden Gäste profitierten. Die Audiodeskription wurde offen übertragen und war damit für alle im Saal zu hören.

Einen Vorhang gab es übrigens nicht. Die Bühne stand mitten im Saal und das Publikum saß sich in zwei Blöcken rechts und links davon gegenüber.
Dafür stieg Nebel auf. Der war so dicht, daß auch die sehenden Gäste nicht mehr ihre Hand vor den Augen erkennen konnten. Auch mein letzter Sehrest war kurzfristig verschwunden.
Das hatte etwas von der Ursuppe, aus der vor Urzeiten irgendwie Lebewesen entstanden sein sollen. Als der Nebel sich lichtete, tummelten sich aber keine Einzeller auf der Bühne, sondern die wunderbar dargestellte Mutter Erde mit einer Karre voller Steine. Dann kam der Auftritt von Deukalion und Pyrrha, dem einzigen überlebenden Menschenpaar der Sintflut.

Auch Ovids Metamorphosen, die literarische Vorlage, beginnen mit der Entstehung der Welt aus dem Chaos und der Sintflut. Der römische Dichter schrieb vor über zweitausend Jahren in 15 Büchern mit über zwölftausend Versen über die seelischen und moralischen Abgründe von Göttern und Menschen, die sich immerzu in Tiere oder Pflanzen verwandeln. Bei der Lektüre dieser vielen Verwandlungsgeschichten muß man sich fast zwangsläufig irgendwann verirren.

Nicht aber der Regisseur Carlos Manuel. Er nimmt uns an die Hand durch seine geschickt ausgewählten Geschichten über Liebe, Verführung, Eifersucht, Freud und Leid, Mißgunst und Niedertracht, sexuelle Gewalt und Mord und Totschlag. Der Vorrat an Steinen, mit dem Mutter Erde die Bühne betreten hatte, neigt sich schnell dem Ende zu, da sie jedem Toten einen Stein zur Seite legt. Schließlich sammelt sie die Steine wieder auf, denn sie werden immer wieder gebraucht.
Die größten Helden des Abends waren für mich die 19 Laiendarsteller, wie sie ihre kaum zu bändigende Spielfreude ins Publikum versprühten!
Es wurde nach der Choreographie von Jenny Mezile getanzt, gestampft und auch gesungen. Herrlich waren auch die tänzelnden und badenden Musen! Dreh- und Angelpunkt war dabei der Turm.
Besonders genossen habe ich die deutliche Aussprache der Spielbegeisterten. Jedes Wort peitschte glasklar durch die Luft. Davon können sich einige Profischauspieler aus Film und Fernsehen, die einfach nur in sich hinein nuscheln, eine große Scheibe abschneiden, geschlechterübergreifend.
An diesem Abend hat mich mein Bezirk Spandau dieses Jahr schon zum zweiten Mal kulturell überrascht, begeistert und fasziniert!
Anfang Mai war es der in Spandau von Spandauern gedrehte Kinofilm „Familiye“ und jetzt die wunderbar aufbereiteten Metamorphosen mit Live-Audiodeskription!
Ob es für das nächste Projekt der Jugendtheaterwerkstatt Spandau, dem deutsch-angolanischen Theaterprojekt „Das Leben ist Traum“ im September einen Vorhang geben wird?
Aber Vorstellungen mit Live-Audiodeskription und natürlich auch mit Gebärdensprache ganz bestimmt!

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