El Olivo
Die spinnen ja nicht, die Römer, und pflanzen einen Olivenbaum in Düsseldorf. Schon 55 Jahre vor Christus hätten sie dazu die Möglichkeit gehabt. Damals machten sich die Römer für einige Jahrhunderte auf dem Gebiet des heutigen Köln links des Rheins breit. Von dort wäre es zu dem vierzig Kilometer stromabwärts entfernten Düsseldorf auf der anderen Rheinseite ein Katzensprung gewesen. Aber als sich Düsseldorf aus mehreren kleinen Dörfern ganz allmählich zu der Stadt entwickelte, die sie heute ist, war die Zeit der Römer längst vorbei. Hinzu kommt, daß Olivenbäume genauso wie ich mediterranen Klimazonen den Vorzug geben, wie zum Beispiel der Region des Bajo Maestrazgo, des Grenzgebietes zwischen Valencia und Katalonien. Auch dort trieben sich einst die Römer herum und vielleicht stimmt es, was Ramón 2000 Jahre nach Christus seiner Enkelin Alma voller Stolz erklärt: „Den hier sollen die Römer gepflanzt haben, der Baum ist über zweitausend Jahre alt.“ Mit einem Stammumfang von über acht Metern ist er der Mächtigste in Ramóns Olivenhain und spielt die Hauptrolle in dem Film „El Olivo“. In seiner knorksigen Rinde kann man sogar zwei Augen und einen Mund ausmachen. Aber leider bringt er kein Wort über die Lippen, wo er doch bestimmt viel Interessantes zu erzählen hätte. Wie klein und zerbrechlich scheint dagegen das erst 12 Jahre junge Olivenbäumchen auf meinem Foto. Sein noch ganz glatter Stamm hat einen Umfang von gerade einmal 56 cm. Aber für mich war es stark genug und Oliven trägt es auch schon seit einigen Jahren. Den Großvater und seine achtjährige Enkelin Alma verbindet vor allem ihre Liebe zu dem uralten Olivenbaum, aber die glücklichen Stunden des Trios sind gezählt. Einen Schauspieler zu finden, dessen Gesicht und Hände von der jahrelangen harten Arbeit bei glühender Hitze in den Oliven gezeichnet sind, hat man erst gar nicht versucht. Ramón und auch die kleine Alma stammen aus derselben Region wie der Olivenbaum und sind beide keine professionellen Darsteller. Und so wie Ramón aussieht, klingt er auch, wie man entweder bei der spanischen Filmfassung oder zumindest im spanischen Trailer hören kann. Mit seiner sehr harten, rauen, energischen und leicht nasalen Stimme erteilt er der Absicht seines Sohnes Luis, den geliebten Olivenbaum für 30.000 Euro zu verkaufen, sehr schroff eine Absage. Trotzdem ist kurze Zeit später das Aufheulen und Dröhnen von Motorkettensägen und anderem schweren Gerät zu hören. Dem prächtigsten Olivenbaum in Ramóns Olivenhain geht es an den Kragen. Dieses Drama kann die kleine Alma auch nicht mit ihrer spontanen Baumbesetzung abwenden. Zurechtgestutzt, entwurzelt und für die lange Reise nach Düsseldorf vorbereitet wird aber nur ein extra für die Dreharbeiten aufwendig konstruiertes und zum Verwechseln ähnliches Double des Originals. Ramóns Freund, der Baum, ist zwar nicht tot, aber fort. Seit diesem Ereignis kommt kein Wort mehr über die Lippen des Großvaters. Damit ist der Geräuschpegel in der Familie aber kein bißchen gesunken. Wenn Spanier sich einfach nur unterhalten, hört sich das fast so an, als ob sie sich jederzeit an die Gurgel springen. Im Streit, und gestritten wird hier sehr viel, peitschen höllisch schnell gesprochene gewaltige Wortsalven durch die Luft. In der deutschen Fassung geht es mit den sehr treffend ausgewählten Synchronstimmen etwas gemäßigter zu. Als Nutzerin der App Greta hatte ich noch zusätzlich den Sprecher der Audiodeskription im Ohr. Mit seiner beruhigend tiefen Stimme läßt er sich auch bei der Beschreibung von Almas wildesten Tanzeinlagen nicht aus der Ruhe bringen. Er bleibt standhaft wie ein Baum. Die knapp sieben fetten Jahre des spanischen Baubooms sind längst vorbei und Almas Vater Luis hat die 30.000 Euro Erlös für den Olivenbaum im wahrsten Sinne des Wortes in den Sand gesetzt. Die nun folgenden mageren Jahre wollen kein Ende nehmen. Im achten Jahr faßt die inzwischen 23-jährige Alma einen Entschluß. Mit ihrem Onkel Alcachofa und Rafa, einem Arbeitskollegen, der still in sie verliebt ist, startet sie eine sehr abenteuerliche Rückholaktion, hola nach Düsseldorf! Koste es was es wolle, will sie ihrem Großvater den Baum und damit sein Leben und seine Sprache zurückgeben. Den Ausverkauf unzähliger sogenannter „Milenarios“, der uralten riesigen Olivenbäume, in alle Welt hat es besonders während des Baubooms in Spanien wirklich gegeben. Nach einer Reise in die Region des Bajo Maestrazgo und vielen Gesprächen mit den Menschen dort dachte sich der Drehbuchautor Paul Laverty die Geschichte um eines dieser traurigen Schicksale aus. Die Regisseurin Icíar Bollaín läßt diese Geschichte von charismatischen Darstellern mit viel Gefühl, spanischem Temperament und sehr großer Spielfreude erzählen. Sie gibt der Erzählung etwas Märchenhaftes und Hoffnungsvolles, ohne dabei den Blick auf die Realität zu verlieren, mit der vor allem die junge Generation des krisengeschüttelten Spanien heute noch zu kämpfen hat. Im Alten Testament bei der Geschichte von Noah und seiner Arche war ein Olivenzweig, damals im Schnabel einer Taube, schon einmal ein Hoffnungsschimmer für einen Neuanfang!