Blog Blindgaengerin

April 2016

Ein Mann namens Ove

Klappt’s mit dem oder noch besser mit allen Nachbarn, dann ist das schon die halbe Miete. Harmonische und gut funktionierende Mietergemeinschaften sind keine Seltenheit. Man sitzt in einem Boot, und das nicht nur bei Wasserschäden. Der gemeinsame Gegner ist entweder der Vermieter oder die von ihm beauftragte Hausverwaltung. Beide lassen gefühlt keine Gelegenheit ungenutzt, den Mietern das Leben schwer zu machen. Bei Eigentümergemeinschaften tilgt der einzelne Wohnungs- oder Hauseigentümer seinen Kredit bei einer Bank. Das Wohngeld zur Begleichung der laufenden Kosten überweist er an die von der Gemeinschaft ausgewählte und einstimmig oder per Mehrheitsbeschluß bestellte Verwaltung. Es fehlt also das gemeinsame Feindbild. Ich wage zu behaupten, daß es in jeder Eigentümergemeinschaft mindestens einen Stinkstiefel gibt, der den Miteigentümern und der Verwaltung mit den absurdesten Ideen auf die Nerven geht. Vorausgesetzt, man muß in solch einer Gemeinschaft nicht wohnen oder diese verwalten, kann man darüber nur verwundert den Kopf schütteln oder einfach darüber lachen. Als ob nicht jede Minute Streit verschenkte Lebenszeit wäre und gerade Nachbarn sich helfen und zusammenhalten sollten! Zu dieser Einsicht kommt „Ein Mann namens Ove“ zwar spät, aber nicht zu spät. In die deutschen Kinos kam er für die Kinoblindgänger gGmbH aber leider zu früh! Ove aus Schweden hat mich sehr begeistert. Zu gern und bestimmt auch zu Maries großer Freude hätte ich ihn mit einer Hörfilmbeschreibung und Untertiteln ausgestattet und über die Apps Greta und Starks im Kinosaal ins Ohr bzw. vors Auge gebracht (Wer ist Marie? www.kinoblindgaenger.com) Die erste Spende (250,00 Euro) ist übrigens schon eingegangen! Über die Dialogpausen hat mich mein freundlicher Nachbar mit diskretem Zugeflüster vom Kinosessel nebenan so gut es ging hinweggerettet. Ove stützt meine oben aufgestellte These mit dem Stinkstiefel allerdings nur in abgeschwächter Form. Er wohnt in einem hübschen Holzhäuschen in einer sehr gepflegten Einfamilienhaus-Siedlung irgendwo in Schweden. Jeden Morgen dreht er seine Runde, um zu kontrollieren, ob die Siedlungsbewohner die überall angebrachten kleinen gelben Verbotsschilder auch respektieren. Das tun sie natürlich nicht und es scheint ihm großes Vergnügen zu bereiten, seine Nachbarn ruppig und mürrisch zurechtzuweisen. Das klingt eigentlich nicht unbedingt nach einem Sympathieträger, aber trotzdem mochte ich Ove von Anfang an. Er ist gradlinig, konsequent und hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ausgestattet mit einem gesunden Menschenverstand und einer Portion Witz und Wortwitz läßt er sich auch nicht von seinen Vorgesetzten oder staatlichen Autoritäten auf der Nase herumtanzen. In Schweden scheint es üblich zu sein, daß sich Hauseigentümer wie hier in der Siedlung in einem Verein zusammentun, um ein gesittetes Miteinander auf den gemeinsam benutzten Straßen und Flächen zu organisieren und diese auch zu pflegen. Ove stand dem Nachbarschaftsverein solange als Präsident vor, bis er von seinem besten Freund Rune – wie er meint – „weggeputscht“ wurde. Aber auch schon vor diesem Drama standen sich die Freunde als Kontrahenten gegenüber und veranstalteten in ihren Garagen ein Wettrüsten. Saab oder Volvo, das muß wohl eine hochideologische Grundfrage gewesen sein. Ob man bei 59 Lebensjahren von einem jüngeren oder älteren Menschen spricht, hängt auch maßgeblich vom Alter des Betrachters ab. Von einem „alten Schweden“ möchte ich bei Ove daher nicht sprechen, er ist allenfalls ein bißchen lebensmüde. Im wahrsten Sinne des Wortes steinalt ist ein Findling, der vor 17 Jahren bei Baggerarbeiten in der Elbe entdeckt und auf den Namen „Alter Schwede“ getauft wurde. Der 217 t schwere Koloss hat einen Umfang von fast 20 m und wanderte während der „Elster-Eiszeit“ vor 320.000 bis 400.000 Jahren mit einem Gletscher Richtung Hamburg. Ein bißchen kann man Ove, wunderbar gespielt von Rolf Lassgård, dem Ur-Wallander, sogar mit dem Findling vergleichen. An seiner rauhen, etwas grauen Schale scheint alles abzuprallen. Sein Kern ist allerdings wachsweich. Er kann seine fünf Selbstmordversuche nur deshalb nicht erfolgreich beenden, weil er sie vorher abbricht, um jemandem zu helfen oder jemanden zu retten. Er ist eben ein Macher und kann einfach nicht anders. Nur ein Versuch scheitert ausschließlich an Materialermüdung. Er gab Sonja, der viel zu früh verstorbenen großen Liebe seines Lebens, das Versprechen, ihr so bald wie möglich zu folgen. Daß er dieses Versprechen nicht wie geplant einhalten kann und sogar wieder Freude am Leben gewinnt, verdankt er seinen neuen Nachbarn. Anfangs ist er entsetzt, daß sich ausgerechnet direkt neben ihm ein Ehepaar mit zwei Kindern einnistet. Seine neue Nachbarin Parvaneh (Bahar Pars) ist zu allem Überfluß nicht einmal Schwedin und auch noch schwanger. Aber gegen ihr herzhaftes Lachen ist auch ein Mann namens Ove nicht gewappnet. Zum Glück hatte und habe ich immer tolle Nachbarn, man hilft sich, hat Spaß miteinander, ohne sich zu eng auf die Pelle zu rücken. Wenn es bei mir nur mit auf Hochglanz polierten Gläsern beim Nachbarn klappen würde, hätte ich ganz schön trübe Aussichten!

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Eddie the Eagle – Alles ist möglich

Milch verleiht dem Konsumenten zweifellos genauso wenig Flügel wie der allseits bekannte klebrig-süße Drink aus der schmalen blausilbernen Büchse. Das Einzige, was der Hersteller dieses Produktes seit 1987 mit solch einer Behauptung beflügelt, sind wohl seine weltweiten Umsätze. Der britische Ausnahme-Skispringer „Eddie the Eagle“ bevorzugte für seine körperliche Fitness das laktose- und kalziumhaltige Naturprodukt, mit dem er sich in jeder freien Minute stärkte. Milch statt Dope, oder ausschließlich Dopen mit Milch, das wäre doch einmal eine sympathische Devise für alle künftigen nationalen wie internationalen sportlichen Wettkämpfe! Ob der wirkliche Eddie the Eagle, mit bürgerlichem Namen Michael Edwards, dessen Biographie dem Film zugrundeliegt, genauso oft wie seine Filmfigur zum Milchglas griff, wissen wir nicht. Jedenfalls stahl er als erster britischer Skispringer bei den Olympischen Winterspielen von 1988 im kanadischen Calgary den Medaillengewinnern beim Skispringen mit seinem spektakulären Sprung die Show. Er belegte zwar mit gerade 71 Metern Sprungweite den letzten Platz, wurde aber vom Publikum für seinen Mut gefeiert. Wegen seines recht unorthodoxen Stiles, in dem er sich mit den Armen rudernd um Stabilität im Flug bemühte, kürte man ihn zu „Eddie the Eagle“. Diese Sensation muß damals an mir vorbeigeflogen sein. Aber dank des Filmes konnte ich diese Wissenslücke nun schließen und hatte meinen Spaß dabei. Über den olympischen Gedanken „Dabei sein ist alles“ hinaus war ich im Kino nicht nur einfach so dabei. Mit der Hörfilmbeschreibung, die Eddie bei seinen 13 Sprüngen mit und ohne Bruchlandung begleitete, konnte ich jede kritische wie unkritische Phase genau verfolgen. Das gilt auch für seine Sorgenfalten, wenn er unschlüssig auf dem Startbalken sitzt und mit Unbehagen in den Abgrund schaut. Genauso wird beschrieben, wie er nach einem geglückten Sprung über das ganze Gesicht strahlt. Seine letzte Amtshandlung, bevor er sich von dem Balken abstößt, ist jedes Mal das Zurechtrücken der Skibrille mit dem Zeigefinger. Die Musik kündigt an, wenn er sich schließlich in die Tiefe stürzt und unüberhörbar heben beide, Eddie und die Filmmusik, gleichzeitig vom Schanzentisch ab. What goes up must come down! Und genauso bekommen Musik und Eddie wie gewollt gleichzeitig wieder festen Boden unter die Füße, bei den ersten Versuchen recht unsanft und schmerzhaft, später auch elegant gleitend. Erfunden und in die Welt getragen haben diese nicht ganz ungefährliche Variante des Skifahrens die Norweger. Die älteste bildliche Darstellung, daß und wie sie das tun, ist auf den 16. Februar 1862 datiert. Knapp 30 Jahre später sprang man im steirischen Mürzzuschlag beim ersten europaweiten Wettbewerb im Skispringen über einen verschneiten Misthaufen. Geruchsneutral wird es dagegen 1924 bei den olympischen Winterspielen zugegangen sein. In diesem Jahr durften zum ersten Mal auch die Wintersportler inklusive der Skispringer im Wettkampf um olympische Medaillen gegeneinander antreten. Die Skispringerdamen sind allerdings erst seit zwei Jahren dabei. Wiedererfunden und mit Leben erfüllt wurde die olympische Idee der Antike nach einer über zwei Jahrtausende langen Pause maßgeblich von dem französischen Baron Pierre de Coubertin. Er gründete 1894 das Internationale Olympische Komitee und zwei Jahre später fanden unter Ausschluß des weiblichen Geschlechts die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit in Athen statt. Frauen wollte der Erfinder und Herr der fünf Ringe nicht dabei haben, wurde aber im Jahr 1914 überstimmt. Neuerfunden hat die Olympischen Spiele der Neurologe und Neurochirurg Ludwig Guttmann. In Oberschlesien geboren und 1938 nach England emigriert, ist er der Begründer der Paralympischen Spiele, die ihre Premiere 1960 in Rom feierten. Seit 1992 finden die Paralympics am selben Ort wie die Olympischen Spiele statt, jeweils drei Wochen später. Ohne Guttmanns großartige Verdienste auch nur ansatzweise schmälern zu wollen, fände ich es schöner, wenn behinderte wie nichtbehinderte Sportler vor demselben Publikum antreten könnten. Blinde Skispringer konnte ich übrigens nicht ausfindig machen. Manchmal ist es von Vorteil, der Gefahr nicht ins Auge schauen zu können, und ich bin bestimmt nicht ängstlich. Aber niemals würde ich in einer Schußfahrt diese langen steilen Hänge hinunter rasen und abheben, um vielleicht irgendwo und irgendwie wieder herunterkommen. Genauso ging es dem Darsteller des Eddie. Taron Egerton machte sich zwar mit der Hockposition während der Abfahrt, der Absprungbewegung am Schanzentisch und der Technik der Telemark-Landung vertraut. Für die Ausführung der kritischen Phasen dazwischen ließ er sich doubeln. Sein kettenrauchender Trainer Bronson Peary (Hugh Jackman), immer mit einem Flachmann in der Tasche, kam dafür ohne Double aus. Beide Eddies faßten erst mit Anfang 20 den Entschluß, mit dem Skispringen zu beginnen und nach einer Trainingszeit von nicht einmal zwei Jahren an den Olympischen Spielen in Calgary teilzunehmen. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit! Das olympische Motto „citius, altius, fortius“, streng übersetzt „schneller, höher, stärker“, aber im deutschen Sprachgebrauch als „schneller, höher, weiter“ eingeführt, war für beide nicht von Belang. Sie hielten sich an den anderen ebenfalls von Coubertin erwähnten Grundgedanken: „Wichtig ist nicht, bei den Olympischen Spielen zu gewinnen, wichtig ist es, teilzunehmen. Im (Sportler-)Leben geht es nicht darum, den Gegner zu besiegen, vielmehr darum, sich wacker zu schlagen.“ Dies ist den Eddies, beflügelt von ihren Träumen und mit eisernem Willen und Durchhaltevermögen mehr als gelungen!

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Ich, nein, wir werden hängen!

Männer wie Frauen, Kopf an Kopf und fünf an der Zahl. Und zwar öffentlich schon übermorgen ab 19.00 Uhr in der Ausstellung „Bildwechsel -Fotografie“. Aufgehängt sind unsere fünf Portraits im Studio 1 im Kunstquartier Bethanien, Mariannenplatz 2, in 10997 Berlin. Aber wir hängen dort natürlich nicht alleine. In der Ausstellung präsentiert das Photocentrum der Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg über 100 Arbeiten von 12 Fotografen und Fotografinnen, die an dem Projekt „Bildwechsel – Fotografie nach der Werkstatt für Photographie“ beteiligt sind. Daß wir fünf uns in der Serie des Fotografen Uwe Schumacher „mit anderen augen“ nebeneinander reihen, ist kein Zufall. Uns ist gemeinsam, daß wir zwar nicht sehen, aber umso besser gesehen werden können. Wir haben unser Schicksal also vertrauensvoll in Uwes Hände gelegt, im Wissen, daß er den Auslöser zur rechten Zeit und im günstigsten Moment betätigt. Das spricht schon einmal für den Fotografen! Für Informationen über die anderen Fotografen und deren Serien, wie z. B. über „Berliner Wirtshäuser“ und „Veränderungen des Berliner Stadtbildes“ verweise ich auf die Homepage des Projektes. Dort findet man auch die genauen Öffnungszeiten und Details über das Programm: http://www.werkstattfürphotographie.de/ Ich werde die anderen und mich gleich einmal am Freitag zur Vernissage besuchen!

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