Blog Blindgaengerin

November 2016

Die Blindgängerin steht hinter einer brusthohen Kommode und stopft Zehn-, Zwanzig- und Fünfzig-Euroscheine in ein großes Sparschwein, auf dem das Logo der Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH abgedruckt ist.

Kinoblindgänger gGmbH ist drin!

Das Schwein galt schon immer als Glücksbringer und Symbol der Fruchtbarkeit, Nützlichkeit und Genügsamkeit. Es vermehrt sich fleißig, ist ein dankbarer Resteverwerter und diente früher während der Winterzeit als Protein- und Fettspender. Dieses positive Image wird die Menschen einst dazu bewogen haben, Behältnissen zum Sammeln und Sparen von Münzen die Form eines Schweins zu geben. Das Sparschwein erfreut sich bis heute großer Beliebtheit. Deutschlands ältestes Exemplar soll aus dem 13. Jahrhundert stammen und ist im Weimarer Museum für Ur- und Frühgeschichte ausgestellt. Wegen des Fotos für diesen Blogbeitrag wurde auch ich glückliche Besitzerin eines Sparschweins und das hat jetzt ein schönes Stammplätzchen auf dem Küchentresen. Um den Umweg über diese Piggy Bank (Sparschwein auf Englisch) zu vermeiden, hat die Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH ab sofort bei betterplace auch ein digitales Plätzchen. Die Online-Spendenplattform betterplace.org hat die Rechtsform einer gemeinnützigen Aktiengesellschaft, der gut.org. Sie ist Deutschlands größte Internet-Spendenplattform, wurde 2007 gegründet und hat ihren Sitz in Berlin. Soziale Projekte aus der ganzen Welt können dort kostenlos Geld- und Zeitspenden sammeln. Hier ist ein Link zu unserer Projektseite und unserem virtuellen Sparschwein bei betterplace: https://betterplace.org/p49608 Auf der Blogseite links ist auch ein einfacher Spendenbutton von betterplace zu finden. Nach „Welcome to Norway“ freut sich Marie schon auf weitere ausländische Arthousefilme, die sie gemeinsam mit ihren Freunden und Audiodeskription im Kino erleben kann. Quasi als Weihnachtsgeschenk gibt’s ja schon bald die schwedische Weihnachtskomödie „Eine schöne Bescherung“ ab dem 22. Dezember. Nächstes Jahr im Februar geht es weiter mit „Mein Leben als Zucchini“! Die barrierefreie Fassung für diesen Film hat die Kinoblindgänger gGmbH als Projekt bei betterplace eingestellt. Weil dort nur 250 Zeichen, das ist fast nichts, zum Vorstellen des Films vorgesehen sind, tue ich das hier noch einmal detaillierter: Kinostart dieses großartigen Animationsfilms für die ganze Familie aus der Schweiz/ Frankreich ist der 16. Februar 2017. Auf  dem weltweit wichtigsten und größten Festival für Animationsfilm in Frankreich gewann er im Sommer den Publikumspreis. Zur bezaubernden Musik der Schweizerin Sophie Hunger erleben wir die berührende Geschichte eines neunjährigen Jungen mit dem Spitznamen Zucchini. Nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter wird er in einem freundlichen Kinderheim untergebracht. Damit auch Kinoblindgänger – groß wie klein – verfolgen können, wie Zucchini sich in seinem neuen Zuhause einlebt, seine Trauer überwindet und neue Freunde findet, beschreibt eine Autorin möglichst viele optische Details. Auf unserer Seite bei betterplace habe ich den Bedarf für dieses Projekt mit 6.380,00 Euro angegeben. Ich will aber nicht einfach eine Summe in den Raum stellen. Für Interessierte folgt daher eine kurze Aufstellung, wie sich dieser Betrag zusammensetzt: Honorar der Hörfilmautorin:                                                           €       800,00 Redaktionelle Mitarbeit als blinde Hörfilmbeschreiberin:        €           0,00       (Mache ich selbst.) Sicherheitshalber überarbeitet eine dritte Person den Text:    €       240,00 Honorar der Sprecherin:                                                                   €       570,00 Aufnahme und technische Aufbereitung (Tonstudio):               €    2.380,00 Erstellung der Untertitel für Gehörlose:                                        €    1.200,00 Kosten der Bereitstellung bei den Apps Greta und Starks:        €    1.190,00 ____________ Summe:                                                                                                €   6.380,00 Dank der Apps können sich Kinoblindgänger (App Greta) und Gehörlose (App Starks) mit ihren Smartphones im Kino ihrer Wahl die Audiodeskription ins Ohr flüstern bzw. die Untertitel vors Auge bringen lassen. Das funktioniert auch später vor dem heimischen Fernseher, z. B. mit einer DVD, Blu-ray oder Video-on-Demand. Der Film „Mein Leben als Zucchini“ ist mit 66 Minuten recht kurz. Längere Filme verursachen (leider) auch entsprechend höhere Kosten. Aber es gibt ja nun das Sparschwein, hoffentlich wird es gut gefüttert! Wie schön es doch manchmal sein kann, ein Schwein zu sein!

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Vor einem Waldrand stapelt die rußverschmierte Blindgängerin Holzscheite zu einem Haufen.

Das kalte Herz

„Das Leben ist kein Wunschkonzert“ Mit dieser gerappten Erkenntnis beginnt der Refrain des Songs „Wünsch dir was“ der Hip-Hop-Band Genetikk aus dem Jahr 2015. Die Toten Hosen hatten schon vor 23 Jahren auf ihrer LP „Kauf mich!“ einen gleichlautenden Titel natürlich im Stil des Punk Rock veröffentlicht. Abgesehen von den Passagen, die von einem Kinderchor gesungen werden, haben die beiden Versionen von „Wünsch dir was“ nichts gemeinsam. Ob man nun Fan von Rap ist oder diesen eher als Nörgelgesang abtut, die Band Genetikk setzt sich in ihrem Werk intensiv und sozialkritisch mit den Risiken und Nebenwirkungen des Wünschens auseinander. Auch Wilhelm Hauff erzählt in „Das kalte Herz“ eine seitdem bereits mehrfach verfilmte Geschichte rund um das Wünschen und was dabei alles schieflaufen kann. Der Regisseur Johannes Naber wiederum erfüllte sich mit seinem vor kurzem in den Kinos gestarteten Film „Das kalte Herz“ seinen Wunsch, einmal ein Märchen zu drehen. Also, es war einmal ein junger Mann namens Peter Munk, der mit seinen Eltern im Schwarzwald in der Nähe des Dorfes Gutach lebte, nein, im Film lebt er! Dort gehen Vater und Sohn dem Handwerk der Köhlerei nach und produzieren Holzkohle, indem sie Holz in ihrem Kohlenmeiler verschwelen. Holzkohle, die heute nur noch in Grills geschüttet wird, brauchte man damals unter anderem für die Glasherstellung und die Verarbeitung von Edelmetallen. Aber als Wilhelm Hauff um 1825 sein Märchen schrieb, hatte der Verdrängungsprozeß der Holzkohle durch die Steinkohle schon längst begonnen. Die wirtschaftliche Lage der Köhlerfamilie Munk ist alles andere als rosig. Rußverschmiert versuchen sie in der Umgebung, mit ihrer schmutzigen Holzkohle goldene Kohle zu machen, und werden dabei von den Dorfbewohnern behindert, bedroht und boykottiert. Wie gering der Berufsstand der Köhler geschätzt wird, bekommt Peter auch im Wirtshaus zu spüren. Dort wird er verspottet und bei der Kirmes vom Tanzboden verjagt. Aber glücklicherweise ist die Märchenfigur Peter Munk ein Sonntagskind und hat deshalb beim Glasmännchen drei Wünsche frei. „Paß gut auf, was du dir wünschst“ Diesen Ratschlag der Rapper sollte man unbedingt beherzigen, wenn klar ist, daß sich das Gewünschte unwiderruflich erfüllt. Aber wen hätte der Kohlenmunk-Peter nach dem plötzlichen Tod seines Vaters zu den Risiken und Nebenwirkungen befragen sollen? In den Bergen unter einer riesigen Tanne trifft er schließlich das Glasmännchen, einen den Menschen wohlgesonnenen Waldgeist, und vergeigt’s prompt. Mit seiner herrlich knarzenden Stimme regt sich das Glasmännchen ganz fürchterlich über so wenig Verstand beim Wünschen auf. „Jedem Wunsch folgt eine Konsequenz“, rappt es weiter. Peters erster Wunsch, der beste Tänzer im Dorf zu sein, ist genauso unsinnig wie harmlos in seiner Konsequenz. Das Herz der anmutigen Lisbeth, das er mit seinen Tanzkünsten zu gewinnen erhofft, hatte er doch schon  erobert, ohne es zu ahnen. Der zweite Wunsch, im Wirtshaus immer exakt genauso viel Geld in den Taschen zu haben wie der reiche Holzhändler Etzel, ist genauso dumm wie ruinös. Wie gewonnen, so zerronnen! Also muß er sich noch einmal hilfesuchend in den finsteren Wald wagen. Die Römer mieden vor 2000 Jahren die riesige, dunkle und scheinbar undurchdringliche Waldfläche, die sie von den Höhen der Alpen aus erblickten. Es heißt, sie gaben ihr damals den Namen „silva nigra“, schwarzer Wald. Wunsch Nummer drei, Besitzer der größten Glasmacherei zu sein, hilft ihm auch nicht aus seiner Not, weil er die Kunst des Glasmachens nicht beherrscht. „Wir sind gierig und das ist, was uns vernichtet“, so die Hip-Hopper. Ganz in der Nähe des Glasmännchens treibt ein weiterer Waldgeist, der menschenverachtende riesige Holländer-Michel, in einer Felshöhle sein teuflisches Unwesen. Jeder, der dessen großzügige finanzielle Unterstützung annimmt, verläßt die Höhle als ein anderer Mensch und wird bis an sein Lebensende nie mehr sein Herz spüren. „Und die Moral von der Geschichte, all unsere Wünsche kosten Seelen“ Diese Zeile aus dem Song „Wünsch dir was“ beschreibt ganz treffend den Scherbenhaufen, den der Peter nach seinem Besuch beim Holländer-Michel mit seiner Herzlosigkeit und Skrupellosigkeit angerichtet hat. Aber Ende gut, alles gut, und er bekommt gerade noch rechtzeitig die Kurve. Die Drehbuchautoren hielten sich nicht gerade strikt an das ursprüngliche Märchen und die früheren Verfilmungen. Meine Erinnerungen an „Das kalte Herz“ aus der Schulzeit sind nur noch rudimentär. Deshalb konnte ich mich im Kino vom Geschehen auf der Leinwand und der mystischen Stimmung einfach mitreißen lassen, ohne auf ein bestimmtes Ereignis oder Detail zu lauern oder mich über etwas Unerwartetes zu wundern. Ich habe mich schön gegruselt, geschaudert oder mich einfach von den vielen tollen Stimmen und der Musik verzaubern lassen. Die vielen Menschen, die zu den tollen Stimmen gehören, kann ich unmöglich alle aufzählen, also lasse ich es ganz sein. Für die Audiodeskription hätte man keine passendere Stimme auswählen können. Die Sprecherin erzählte mit ihrer natürlichen und doch geheimnisvollen, eher tieferen und ruhigen Stimme von den Guten und den Bösen, deren Bekleidung und dem Treiben im Dorf. Auch die beeindruckende Kulisse des Schwarzwaldes, die Natur und die doch sehr gruseligen Szenen in der Höhle des Holländer-Michel wurden so ausführlich wie möglich beschrieben. Hier gibt es ein kurzes Hörbeispiel. Aber jetzt ist die Märchenstunde vorbei und ich halte es mit der letzten Zeile von „Wünsch dir was“ und „mach die Augen zu und wünsch mir was“.  

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