Blog Blindgaengerin

Perfect Days

„Perfekt!“
Oft wird mit diesem Wörtchen am Ende eines Gesprächs auf den Punkt gebracht, daß alle Beteiligten mit dem Ergebnis mehr als zufrieden sind. Jedenfalls für den Moment.

„Perfect Day“
In seinem Song aus dem Jahr 1972 philosophiert Lou Reed zu einer wunderschön melancholischen Melodie, wie er sich einen perfekten Tag vorstellt. Mit wem er diesen Tag verbringen möchte, bleibt allerdings offen.
„Einfach ein perfekter Tag, im Park Sangria trinken,
und dann später, wenn es dunkel wird, gehen wir nach Hause.
Einfach ein perfekter Tag, Tiere im Zoo füttern,
und dann später noch ins Kino…“

…zum Beispiel in „Perfect Days“!

Würde Lou Reed noch leben, hätte er sich den am 21. Dezember 2023 gestarteten Spielfilm von Wim Wenders garantiert schon längst angeschaut. Die beiden waren sehr gute Freunde und der Musiker hatte in drei Filmen des Regisseurs mitgespielt.

„Lou wäre auch über die Figur des Hirayama sehr froh gewesen“, meinte der Regisseur in einem Interview im „Der Standard“.
Hirayama reinigt öffentliche Toiletten und verbringt seine Pausen in Parks. Im Blaumann und mit einem schwarzen Gürtel sitzt er auf Parkbänken oder Steinstufen. Aber er trinkt keine Sangria, sondern liest in Taschenbüchern.

Besonders gefreut hätte sich der Singer-Songwriter auch über Hirayamas Musikgeschmack.
Auf dem Weg zur Arbeit schiebt der Toilettenreiniger jedesmal eine andere Kassette mit Musik aus den 70er Jahren – auch meine Musik – in sein Autoradio. Er hört zum Beispiel ein Stück von „The Animals“ oder „Velvet Underground“. Nur Lou Reed kommt mit „Pale Blue Eyes“ und natürlich „Perfect Day“ zweimal zum Zug. Er ist Wim Wenders Lieblingsstimme in der Rockgeschichte und für ihn der Schirmpatron des Films.

Wim Wenders war sehr froh, daß er für die Rolle des Hirayama den japanischen Schauspieler Koji Yakusho gewinnen konnte. Der überzeugte schon die Jury bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes im Mai 2023.

Ich hätte mich riesig gefreut, wenn ich mit einer Filmbeschreibung über die Greta App in die Welt des sympathischen und bescheidenen Hirayama hätte eintauchen können.
„Perfect Days“ ist eine deutsch-japanische Koproduktion ohne deutsche Fördergelder. Eine Audiodeskription lag zum Kinostart nicht vor. Und was es nicht gibt, kann bei der Greta App auch nicht zur Verfügung gestellt werden.
Das war so schade!

Der eher dialogarme Film lebt vor allem von Bildern. Zum Beispiel – habe ich mir sagen lassen – von Koji Yakushos fantastischem Minenspiel, wie behutsam er als Hirayama mit der Natur und den Menschen umgeht, und mit welcher Sorgfalt und Hingabe er die öffentlichen Toiletten reinigt.
Diese Toiletten sind natürlich etwas ganz Besonderes und spielen als Teil des sogenannten
„Tokyo Toilet Project“ neben Hirayama die Hauptrolle!

Zwischen 2020 und 2023 entwarfen 16 namhafte japanische Architekten und Architektinnen für den Tokioter Stadtteil Shibuya 17 Toilettenanlagen. Jede für sich ist ein Einzelstück, ästhetisch und vielfältig gestaltet und in hohem Standard und inklusiv ausgeführt. Und wie für öffentliche Toiletten besonders wichtig, aber leider die Ausnahme: Die langfristig angelegte Hygiene und Sauberkeit der stillen Örtchen.

Zumindest eine vage Vorstellung von einigen der Toilettenanlagen, jede für sich ein Kunstwerk, bekam ich auf der Website:

baunetz interior|design https://www.baunetz-id.de

Nur so, um eine Idee zu bekommen: Dort wird eine der Anlagen als Raumschiff auf Zwischenlandung beschrieben.

Eigentlich verkneife ich mir Kinobesuche, wenn für den Film keine Audiodeskription über die Greta App zur Verfügung steht. Aber bei „Perfect Days“ mußte ich einfach eine Ausnahme machen.
Zum einen, weil es der Film, eingereicht von Japan, unter die fünf für den Auslandsoscar Nominierten geschafft hat und schon deshalb in aller Munde ist. Und zum anderen wegen des für mich extrem heiklen Themas „öffentliche Toiletten“!

Nur wenn es unbedingt sein muß, aber eigentlich verkneife ich mir den Besuch der finsteren, nicht gerade einladend riechenden kleinen Toilettenhäuschen.
Im Fall der Fälle bin ich aber immer mit einem Papiertaschentuch gewappnet und muß für den ersten Eindruck meiner Nase vertrauen. Dann vermeide ich möglichst, mit irgendetwas in Berührung zu kommen. Unterwegs, vor allem bei Bahnfahrten, verkneife ich mir jeden Schluck aus der Wasserflasche und beiße lieber in einen Apfel oder ein Stück Gurke.

In Restaurants oder bei Veranstaltungen ist die Lage schon etwas entspannter und die Toiletten in der Regel ordentlich.
Wenn es einmal sein muß, frage ich nach einem „Taxi zum Klo“. Ich hoffe, daß mir dies der Regisseur des gleichnamigen Films aus dem Jahr 1980, Frank Ripploh, nicht übelnimmt.
Bin ich in weiblicher Begleitung, ist die Sache unkompliziert. Meine Begleiterin leitet mich durch die vielen Türen des WC-Bereichs zu einer freien Kabine, wirft einen Kontrollblick hinein und unterstützt mich beim Finden eines Waschbeckens, des Seifenspenders und so weiter.
Die männliche Begleitung muß draußen bleiben und ich habe mich nicht nur einmal zwischen den vielen Türen der riesigen WC-Bereiche verkeilt. Statt wie in Sofia Coppolas Film „Lost in Translation“ aus dem Jahr 2003 bin ich „Lost im WC-Bereich“.
Aber letztlich habe ich immer den Weg aus den WC-Labyrinthen gefunden. Und angesichts der Tatsache, daß mehr als 40 % der Weltbevölkerung keinen Zugang zu ausreichend hygienischen Sanitäreinrichtungen haben, ist mein Problem ein Luxusproblem. Seit 2013 macht der 19. November als „Welttoilettentag“ auf diese Misere aufmerksam, ein Welttag der Vereinten Nationen im Kampf für Sanitäranlagen!

Der von Japan eingereichte Spielfilm über das Tokyo Toilet Project konkurriert mit vier weiteren Filmen um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.
Ins Rennen um die begehrte Trophäe gehen auch der britische Beitrag „The Zone of Interest“ und für Deutschland „Das Lehrerzimmer“ von Ìlker Çatak.

Am 10. März fällt in Los Angeles die Entscheidung, für welches Filmteam dieser Tag ein perfekter Tag wird!

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