Blog Blindgaengerin

Filmmusik

Minions

Ein Abend in Berlin und immer noch über 30 Grad, was liegt da näher, als ins Kino zu gehen. Mir gleich taten es erstaunlich viele Leute mit sehr leicht und flipfloppig beschuhten Füßen, um sich mit den kleinen gelben Dingern, genannt Minions, einen lustigen Kinoabend zu machen, der sich übrigens als ein extrem lustiger entpuppte! Ihre ersten Auftritte, allerdings nur mit einer Gastrolle, hatten die Minions in den Filmen „Ich – Einfach unverbesserlich“ 1 und 2 in den Jahren 2010 und 2013. In dem aktuell laufenden US-amerikanischen 3D-Animationsfilm spielen die Gelben die Hauptrolle und lassen die menschlichen Figuren, die dieses Mal den Part der Gastrolle übernehmen, ziemlich blaß aussehen. Am Anfang ist die Ursoße, in der erst wenige und dann immer mehr gelbe Einzeller wabern, bis sie als etwa 50 cm große Wesen durch die Weltgeschichte blödeln. So wie mir diese Wesen mit der Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr erklärt wurden, mußte ich sofort an die allseits bekannten Überraschungseier aus Plastik einer ganz bestimmten Schokoladensorte denken. Neben dem Herumblödeln ist der eigentliche Lebensinhalt der Minions, sich dem Bösen, am besten der bösesten Kreatur der Welt, zu unterwerfen und ihm zu dienen. Zuerst schließen sie sich dem Saurier T-Rex an, der recht schnell tödlich verunglückt. Das gleiche Schicksal ereilt Dschingis Khan, Dracula, einen Steinzeitführer und einen Ritter. Tragischerweise finden all diese Bösewichte durch die komischsten Mißgeschicke ihrer Lakaien, der Minions personifiziert, den Tod. Nachdem sie sich ihres Meisters Napoleon sehr einfallsreich, aber natürlich mal wieder ungewollt, entledigt und sich so schon verdächtig nahe in die Jetztzeit vorgearbeitet haben, verfallen sie frustriert in eine tiefe Depression. Sie kehren der Welt den Rücken und ziehen sich in eine eisige Höhle in der Antarktis zurück. Dort verharren sie mehr oder weniger erstarrt ungefähr 150 führerlose Jahre, wobei es an scheußlichen Kreaturen bestimmt nicht gemangelt hätte, mir fallen auf Anhieb mehr als genug ein. Im Jahre 1968 heckt der Schlaumeier Kevin einen Plan aus, um sich in der weiten Welt nach einem neuen Scheusal umzuschauen. Begleitet wird er von dem rebellischen Teenage-Minion Stuart und dem kindlichen Bob mit seinem Teddy. Die drei Überraschungseier schlagen nach einer strapaziösen Reise 1968 zunächst im damals von der Flower Power, Love & Peace-Bewegung beherrschten New York auf. Von dort trampen die drei abenteuerlich nach Orlando, wo sie hoffen, auf einer Schurkenmesse fündig zu werden. Das klappt auch und sie fliegen im Privatjet der Oberschurkin Scarlet Overkill nach England. Die neue Herrin möchte ihr Haupt mit der Krone der Queen schmücken und die Gelblinge sollen mal eben das Objekt ihrer Begierde aus dem bestbewachten Platz Englands, dem Tower of London, entwenden. Viel wichtiger als die Handlung ist es, den Minions zuzuschauen, wie sie von einer Katastrophe in die andere schlittern und immer wieder, meist in letzter Minute, ihren nicht vorhandenen Hals aus der Schlinge ziehen. Das alles geschieht in der Kulisse der wilden späten 60er-Jahre, angefangen bei der Kleidung bis hin zu allen möglichen zeittypischen Utensilien. Eine ganz wichtige Rolle spielt auch die Musik dieser Zeit, die Stones, die Kinks, die Beatles, The Who, Donovan und Bo Diddley. Als es dem Dreierteam trickreich gelingt, als Besucher in den Tower eingelassen zu werden, setzt es die Wachposten der Krone durch Hypnose außer Gefecht. Diese lassen bis auf die Unterhose die Hüllen fallen, schütteln ihr sehr langes buntes Haupthaar, und klatschen sich hüftenschwingend nach dem Titelsong des Musicals „Hair“ gegenseitig auf ihren Allerwertesten. Das war einfach großartig. Später müssen die drei über die Kanalisation flüchten und tauchen aus einem Gullydeckel an einem Zebrastreifen auf, über den gerade die wohl berühmtesten Pilzköpfe der Welt die Straße überqueren. Das sind nur zwei der unzähligen Szenen, die mit viel Liebe zum Detail und fantasievoll den damaligen Zeitgeist widerspiegeln. Inzwischen hat es die restliche Sippe der Minions geschafft, selbst in der Antarktis Ärger zu bekommen, sie sucht lieber das Weite. Auch deren Reise ist weit und beschwerlich. In Australien legen die Minions einen Teil der Strecke in den Beuteln der dort hopsenden Dinger, Kängurus genannt, fort. Schließlich verschlägt es auch sie nach England. Die Sprache der Minions wird übrigens nicht synchronisiert, sie ist ein Mischmasch aus den Sprachen aller Herren Länder. Erstaunlicherweise habe ich die liebenswerten Geschöpfe immer verstanden. Zum Abschluß noch ein „Chapeau!“ an die Hörfilmbeschreiber! Es gab wahnsinnig viel zu beschreiben und die kurzen Pausen, in denen die Gelblinge einmal nicht vor sich hingebrabbelt haben, wurden, wie ich fand, optimal genutzt.

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Mein Herz tanzt

Vor einigen Jahren brachte die Berliner Band Mia mit „Mein Herz tanzt“ in dem Song „Tanz der Moleküle“ die Herzen ihrer Fangemeinde zum Tanzen. Seit 14 Tagen spielt sich die Hauptfigur des gleichnamigen Filmes, Eyad, auf der Leinwand in die Herzen der Kinobesucher, und so auch in meines. Unter den ca. 8 Millionen Einwohnern Israels leben ungefähr 1,5 Millionen israelische Staatsbürger arabischer und palästinensischer Herkunft, also Menschen, die keine Juden sind, und deren ethnische und kulturelle Identität oder Sprache arabisch ist. Araber mit israelischen Bürgerrechten werden wahlweise als israelische Palästinenser oder arabische Israelis bezeichnet, wobei der letzte Begriff von der offiziellen Seite bevorzugt gebraucht wird. Der israelische Regisseur Eran Riklis gibt mit seinen Filmfiguren der arabischen Minderheit ein Gesicht und erzählt aus dem Leben des jungen Palästinensers Eyad, von 1982 bis Anfang der 90er Jahre. Eyads Familie lebt in einer von Arabern bewohnten Kleinstadt, so wie es sie in Galiläa, der östlichen Landesebene Israels, und dem nördlichen Teil des Negev gibt. Nur wenige Araber leben in den Städten Jerusalem, Haifa oder Akko. Eyad wächst behütet und von seinen Eltern traditionell erzogen mit seinem Bruder auf. Ein besonders inniges Verhältnis hat er zu seiner Großmutter. Er ist ein aufgewecktes pfiffiges Kerlchen und bekommt das erste Mal in der Schule Repressalien zu spüren. Vom Lehrer nach dem Beruf seines Vaters gefragt, antwortet Eyad: „Mein Vater ist Terrorist!“ Eindeutig die falsche Antwort. Mit Schlägen auf die Finger will der Lehrer die richtige Antwort, der Vater sei ein Tagelöhner, erzwingen. Aber Eyad bleibt mit tränenerstickter Stimme standhaft. Zum Stolz seiner Eltern schafft er den Absprung auf die Eliteschule Jerusalems schlechthin und tauscht jetzt als Teenager das traditionell ausgerichtete Familienleben in einer arabischen Kleinstadt gegen das freie Campusleben des modernen Israel ein. Rockmusik, Bars und Tanzen gehen muß er so nach und nach für sich entdecken. Dabei wird er von seinen ausnahmslos jüdischen Mitschülern teils ironisch, teils verächtlich, wegen seiner Unbedarftheit und als arabischer Sonderling aufgezogen. Auch im Unterricht hat er keinen leichten Stand. Als sich die politische Lage zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten um 1990 wieder bedrohlich anzuspannen beginnt, wird er auch von der Lehrerschaft fast ein bißchen dafür mitverantwortlich gemacht. Nur mit seinem jüdischen, an Multipler Sklerose erkrankten Mitschüler Yonatan verbindet ihn eine tiefe Freundschaft. Die beiden sehen sich zum Verwechseln ähnlich, und nur weil Eyad sich als Yonatan ausgibt, kann er ein Bankkonto eröffnen und einen Aushilfsjob als Kellner annehmen. Er wird nicht nur dieses eine Mal in Yonatans Identität schlüpfen. Auch die Liebe ist kompliziert. Seine jüdische Freundin, die ihn wirklich zu lieben scheint, traut sich nicht zu einem Coming-out, in dem Sinne, sich öffentlich zu ihrer Liebe zu einem Palästinenser zu bekennen. Zwischendurch muß sich Eyad, wenn er zu seiner Familie fährt, neugierigen Fragen über sein Leben in Jerusalem stellen. Diese Besuche werden immer häufiger von Raketenangriffen aus dem Gazastreifen gestört. Schon fast schizophren mutet es an, wenn seine Großmutter die Raketen anfeuert, diese mögen doch beispielsweise das israelische Regierungsviertel treffen, als ob man unter Feinden lebt. Auch dem eigentlich verhaßten Saddam Hussein werden die Daumen gedrückt, als die Amerikaner im 2. Golfkrieg 1991 mit ihrer Offensive „Desert Storm“ versuchen, ihm den Garaus zu machen. Der Großmutter mußte Eyad einst versprechen, dafür zu sorgen, daß sie in ein geweihtes Tuch gehüllt beerdigt werde. Da er jedoch zu spät zu ihrer Beerdigung kommt, findet das Tuch schließlich eine ganz andere Verwendung. Im Kino haben sich mir einmal wieder einige Szenen nicht erschlossen und einiges konnte ich mir ergoogeln. Mit der Autorin der Hörfilmbeschreibung habe ich dann noch einmal den Film Revue passieren lassen und mußte enorme Verständnislücken feststellen, die ich erst in diesem Gespräch schließen konnte. Ein kleiner Trost ist, daß ich mir mit der DVD den Film mit der Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr noch einmal zu Gemüte führen kann. Das mache ich auch, aber Kino ist halt doch viel besser!

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Auf dem Berliner Gendarmenmarkt vor dem Deutschen Dom. Zwei Frauen stehen Rücken an Rücken und lachen in die Kamera. Links Verena im dunklen Etuikleid, rechts die Blindgängerin im braunen Lederkostüm. Beide halten Sektgläser.

Die abhandene Welt

Gerade noch rechtzeitig zum regulären Kinostart ist „Die abhandene Welt“ glücklicherweise in der Liste der App von Greta und Starks vorhanden. Dieses Glück war dem Film „Als wir träumten“ leider nicht vergönnt. Die beiden Filme liefen wie auch „Dora oder die sexuellen Neurosen…“ bereits im Februar als ein Berlinale Special mit einer live eingesprochenen Audiodeskription. An dieser Stelle möchte ich diesen Sprechern einmal meine Hochachtung kundtun. Während der 120 Filmminuten immer auf den Punkt genau den Text der Hörfilmbeschreibung in die Dialogpausen zu platzieren, ohne selbst auch nur für den Bruchteil einer Sekunde pausieren zu können, ist eine Riesenleistung! Die vorhandene Welt spielt in der Stadt Düsseldorf, in der Sophie, ihr Vater Paul und dessen Bruder bislang jeder mehr oder weniger für sich ihre eigenen Wege gehen. Eines Tages entdeckt Paul im Internet das Foto einer US-amerikanischen Operndiva, die seiner vor einem Jahr verstorbenen Frau zum Verwechseln ähnlich sieht. Die in Italien aufgewachsene Opernsängerin Caterina Fabiani ist nur unerheblich älter als seine Tochter Sophie und lebt mit ihrer Familie in New York. Von der Idee besessen, daß die Ähnlichkeit kein Zufall sein kann, wittert Paul die Möglichkeit einer in der Vergangenheit liegenden, wie auch immer gearteten, aber abhanden gekommenen familiären Verbindung. Gesundheitlich angeschlagen, kann Paul der Sache nicht selbst auf den Grund gehen, und so geht er seiner Tochter Sophie so lange auf die Nerven, bis diese sich mit einem von ihm gesponserten Flugticket auf die Suche nach der möglicherweise „abhandenen Welt“ auf der anderen Seite des großen Teiches macht. Sophie ist anfangs wenig begeistert, sich ein Detektivmützchen aufzusetzen und wildfremden Menschen auf die Pelle zu rücken, doch wird die Reise nach New York ihr Leben völlig umkrempeln. Kurz vor ihrer Abreise bekommt sie von ihrem Freund den Laufpaß und ihre Auftritte als Jazzsängerin sind auch nicht gerade von Erfolg gekrönt. Um an die wenig kooperative Operndiva Caterina (Barbara Sukowa) heranzukommen, wendet sie sich hilfesuchend an deren Manager, der die Situation schamlos ausnutzt und Sophie ein „unmoralisches Angebot“ macht. Aber nur so kommt sie nach und nach der abhandenen Welt auf die Spur, verliebt sich in ihren Zwangsverbündeten und wird auch noch als Jazzsängerin in der New Yorker Clubszene gefeiert. Alles flutscht, fast wie im Film. Katja Riemann singt als Sophie übrigens personifiziert und macht das echt gut! Welche Welt ab wann, wie und warum abhanden ist, klärt sich nur so nach und nach dank der handgeschriebenen Briefe, die die älteren Herrschaften, also Paul (Matthias Habich), sein Bruder und Caterinas vermeintliche Mutter (Karin Dor) in kleinen Holzkästchen aufbewahren. Diese Holzkästchen hatten etwas Rührendes. Von einigen Herrschaften im Kinosaal um mich herum konnte ich Bemerkungen darüber aufschnappen, was der heutigen und den nachfolgenden digitalisierten Generationen einmal abhanden sein und bleiben wird: Vor allem Holzkästchen mit handgeschriebenen Briefen! Paul hatte auf jeden Fall den richtigen Riecher. Seine Frau brachte einige Jahre vor Sophies Geburt bereits ein Mädchen namens Caterina zur Welt, das sie aus einer Notlage heraus ihrer in Italien lebenden Freundin anvertraute. Zurück in Düsseldorf, muß sich Sophie jetzt auf die Suche nach dem leiblichen Vater ihrer Halbschwester machen. Das alles klingt komplizierter, als es ist, und am Schluß weiß jeder, wer zu wem gehört. Bis zur endgültigen Familienzusammenführung und den tragischen Erkenntnissen über abhandene und irrtümlich für vorhanden gehaltene Welten tragen diverse Szenen zur allgemeinen Erheiterung bei: Als zweites Standbein versucht sich Sophie als Rednerin auf Hochzeitsfeiern. Viele Brautpaare tauschen den kirchlichen Traualtar gegen eine nicht so durchstrukturierte Zeremonie ein, um sich das große lebenslängliche JA-Wort zu geben. Sophies Gespräche mit den jungen Leuten über deren Erwartungen an den schönsten Tag ihres Lebens, den Partner und die Liebe und die gemeinsame Zukunft sind schon wahnwitzig komisch. Bei einer längst überfälligen Aussprache zwischen Paul und seinem Bruder bleibt es nicht bei Verbalattacken. Die älteren Herren tänzeln wie wildgewordene Boxer umeinander herum und die daneben sitzende Sophie versucht lachend, die im Weg stehenden Kleinmöbel zu retten. Eine ähnliche Situation gab es vor Jahren in meiner Familie anläßlich einer Feier, nur daß wir Familienmitglieder erst einmal ziemlich bedröppelt dreingeschaut haben, bis wir die beiden Kampfhähne getrennt haben. Aber in der letzten Szene sitzen alle bei einem guten Essen mit reichlich Rotwein einträchtig zusammen, Ende gut, alles gut! Im Februar bei der Vorstellung mit der live eingesprochenen Hörfilmbeschreibung waren neben den Hauptdarstellern und der Regisseurin auch bestimmt 50 Kinoblindgänger inklusive meinereiner. Der Regisseurin, Margarethe von Trotta, ist übrigens im wirklichen Leben ein ähnliches Schicksal widerfahren wie Sophie in ihrem Film. Schön, daß jetzt auch Leute den Film mit Greta anschauen können, die damals keine Zeit hatten, kein Ticket ergattern konnten oder einfach nicht das Glück haben, in Berlin zu leben, halt ALLE!! Das Foto zu diesem Beitrag zeigt mich mit meiner Schwester Verena. Wir beide sind uns aber nie abhanden gekommen. Es trennt uns auch kein Ozean, sondern meist nur die Elbe.

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In einem verwilderten Garten steht die Blindgängerin im Sonnenlicht. Sie trägt einen hellen Cowboyhut, Lederjacke, beigefarbene Jeans und Cowboystiefel. Auf der Schulter hält sie eine Gitarre. Einen Fuß stellt sie auf den Deckel eines Katzenklos. Im Vordergrund ein paar helle Steine, auf denen eine schwarze Stoffkatze sitzt.

Mülheim Texas – Helge Schneider hier und dort

Guten Tach, Helge Schneider! Und um Haaresbreite hätten wir uns ziemlich schnell wieder von ihm verabschieden müssen. Helge sitzt auf einem schwarzen Sessel und klimpert auf einer uralten elektrischen Orgel. Das Scheinwerferlicht richtet sich nur auf Helge, der Rest des Raumes bleibt im Dunkeln. Andrea Roggon, die Regisseurin im Off, fragt Helge nach seinen Gedanken zu dem großen Begriff „Freiheit“, die einem ja nicht einfach so gegeben wird. Ohne lange zu überlegen, meint er: „Nein, die muß man sich nehmen. Und das mach‘ ich jetzt.“ Steht auf und verläßt einfach die Szene. Aber keine Angst, er kommt sofort und für die nächsten ca. 100 Filmminuten wieder zurück. Was in diesen Minuten passiert, kann ich nur versuchsweise wiedergeben, weil im eigentlichen Sinne des Wortes „passieren“ nichts passiert. Mit dem Film versucht Andrea Roggon, Helge Schneider zu portraitieren, und hat ihn dafür über einen Zeitraum von vier Jahren interviewt und in allen möglichen und unmöglichen Lebenslagen gefilmt. Der Versuch des Portraits ist ihr gelungen, rausgekommen ist Helge Schneider! Ich habe ihm gerne zugehört, wenn er ruhig mit seiner angenehmen Stimme und dabei immer auf einem Musikinstrument improvisierend in die Kamera plauderte, konnte mir nur leider keine seiner Lebensweisheiten merken. Ich mag auch gar nicht spekulieren, ob er selbst das konnte… Ausgetobt hat er sich hinsichtlich seiner Verkleidungsmacke und beim Dekorieren seiner Szenenbilder draußen wie drinnen, durch die er Grimassen schneidend mit den schrägsten Verrenkungen tänzelt. Einmal dürfen wir ihn bei einem Spaziergang auf Feldwegen mit seinen beiden Hunden begleiten. Der Spitz und der Dackel verschwinden auf Handzeichen ins Gebüsch oder machen das, was Helge so einfällt. Daß er die beiden einmal an die Leine nimmt, kann man sich nur schwer vorstellen. Auf der Ruhr paddelt er durch die herunterhängenden Zweige der Weiden. Er duckt sich nicht, er schiebt die Zweige nicht beiseite. Er läßt die Blätter über sein Gesicht streifen, will die Natur hautnah erleben. Über sein Privatleben erfährt man erwartungsgemäß nix. Nur einmal, als er von seiner Begegnung mit Pferden erzählt und wie er mit den Tieren umging, kommt er auf seine Kinder zu sprechen. Er habe bei den Pferden wie bei seinen Kindern so wenig wie möglich regulierend eingegriffen, oder so ähnlich? Zwischendurch gibt’s immer wieder was für die Ohren! Der begnadete Musiker Helge setzt sich an eine Orgel, ein Klavier oder greift sich eines der anderen Instrumente, die er mit einer bewundernswerten und zu beneidenden Leichtigkeit spielt. Auch an Konzertmitschnitten wird nicht gespart. Für einige Minuten gestattet er uns Einblicke in die harte Probenarbeit mit seinen immer hervorragenden Musikern. Das bei den Konzerten spontan wirkende Hin und Her zwischen Helge und seiner Band ist haargenau festgelegt und muß exakt nach seinen Vorstellungen ablaufen. Der krönende Abschluß war das bei seinen Fans zu den Favoriten gehörende spanische Gedöns. Wenn Helge den Flamenco-Gitarristen und -Sänger gibt, bis die Finger endgültig zwischen den Saiten festhängen, bleibt kein Auge trocken! Wer Helge mag, mag auch den Film! Vor 12 Jahren war ich das erste Mal zunächst sehr widerwillig auf einem Helge-Konzert, schließlich kannte ich wie die meisten auch nur das „Katzeklo“. Ich hatte dann aber soooo viel Spaß, daß ich seitdem versuche, keinen seiner Berliner Auftritte zu verpassen. Daß ich einmal selbst als Helge-Imitat auf der Wiese stehen würde, hätte ich mir damals nie träumen lassen, aber so kann’s kommen! Bis jetzt kannte ich Helge „nur“ über meine Ohren. Dieses Mal hatte Greta einmal wieder Ausgang und jetzt kann ich mir eine Vorstellung über Helges Erscheinung im weitesten Sinne und seine Bewegungsabläufe machen. Dieser Kinobesuch war auch deshalb ein ganz besonderer, weil wir eine wenn auch kleine Gruppe Kinoblindgänger waren, um genau zu sein: Mit mir drei. Und dann haben wir noch einen weiteren Besucher mit dem weißen Stock entdeckt. Das macht Hoffnung!!! Über die Ausführlichkeit der Hörfilmbeschreibung gingen die Meinungen etwas auseinander. Die anderen beiden hätten sich eine detailliertere Beschreibung gewünscht, wofür auch Zeit gewesen wäre. Das mag für die eine oder andere Stelle zutreffen. Grundsätzlich gebe ich einer auf das Wesentliche beschränkten Hörfilmbeschreibung den Vorzug. Ich höre sehr gerne zwischendurch einfach nur die Geräusche von der Leinwand und träume so vor mich hin. Aber da sind die Geschmäcker eben verschieden. Toll ist, daß dieses Kinoerlebnis so überhaupt möglich geworden ist!!!

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Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!

Das West-Berlin der 80er Jahre und die Landeier! Bis zum Mauerfall waren für den West-Berliner alle, die jenseits der Transitstrecke, also im Wessiland lebten, die Wessis. Wenn der West-Berliner auf seiner Insel mit der Spezies Wessi in Kontakt kam, belächelte er diese als Landeier. Nach dem Fall der Mauer wurde der West-Berliner, ob er wollte oder nicht, allerdings selbst zum Wessi. Nur für die Ossis hat sich da nichts geändert. In den 70er und 80er Jahren sind sehr viele junge Landeier nach West-Berlin ausgewandert, zumeist Wehrdienstvermeider und Lebenshungrige, die sich auf der Insel der Glückseligkeit fern der heimatlichen Kontrolle einmal richtig austoben wollten. Auch Robert und ich sind als Landeier Anfang der 80er, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Beweggründen, in West-Berlin eingereist. In dem Film „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!“ ist Robert (Tom Schilling) die Hauptfigur, an welcher der Autor und Filmemacher Oskar Roehler seine eigene West-Berliner Zeit abarbeitet. Nach dem Absolvieren des Abiturs an einem Internat im ländlichen Franken hat Robert genug von den ihn dort umgebenen sanftmütigen, verständnisvollen, friedliebenden, in Jesuslatschen und selbstgemachten Batikklamotten schwebenden und „Om“ rufenden Althippies. Mit Irokesenschnitt und versunken in einen schwarzen Ledermantel mutiert er zum Punker. Wenig gefühlvoll bringt er kurz vor seinem Verschwinden die bürgerlichen Zukunfts- und Familiengründungspläne seiner Freundin zum Platzen. Was er sucht, sind Exzesse in jeglicher Hinsicht. Während dieser Zeit war es in Berlin noch unmöglicher als heute, an eine bezahlbare Wohnung zu kommen, und so schlüpft Robert zunächst bei seinem Freund Schwarz, gespielt von Wilson Gonzales Ochsenknecht, unter. Dieser betreibt eine Peepshow, den „Dschungel der Lust“, und um an Bares zu kommen, darf Robert dort die Kabinen vom umhergeschleuderten Sperma reinigen. Der Reinigungsvorgang wird ziemlich detailliert gezeigt und ist, wie auch so manch andere Szene, nicht unbedingt etwas für zartbesaitete Gemüter. Auch Robert leidet unter diesem Anblick. Er sei doch Künstler, er liest anspruchsvolle Literatur und schreibt Gedichte, die in seinem Umfeld jedoch ziemlich verständnislos abgenickt werden. Quasi als Entschädigung führt Schwarz ihn in das Berliner Szene-Nachtleben ein und so trifft Robert in dem Club „Risiko“ auf Szene-Legenden wie Blixa Bargeld, Frontmann der Einstürzenden Neubauten, und Nick Cave. Der Club „Risiko“ war neben dem SO36 in Kreuzberg und der Music Hall in Steglitz einer der angesagten Orte, wo sich die seit Ende der 70er in Berlin entstehende New Wave-Szene tummelte. In der Peepshow windet sich die Tänzerin schlangenhaft zu den Klängen von Sandras Song „In the Heat of the Night“ und bringt die Kundschaft zum Überkochen. Im „Risiko“ dröhnt die mit ganzen drei Akkorden auf der E-Gitarre auskommende Punkmucke mit Grölgesang. Dagegen haben sich „This Is Not a Love Song”, hier in der Version von den Sex Pistols, und „I Wanna Be Your Dog” von Iggy Pop noch als melodiös abgehoben. Die Musik der 80er Jahre war in ihrer Abartigkeit so vielfältig oder in ihrer Vielfältigkeit so abartig, daß für jeden Geschmack etwas dabei war. Wir dürfen dann noch Zeuge von Exzessen jeglicher Art werden, bis die Westberliner Zeit Roberts ein jähes Ende findet, für dessen Gesundheit nur förderlich. Unbedingt erwähnenswert sind Roberts Erzeuger. Die Mutter, einmalig gespielt von Hannelore Hoger, hat trotz gezielten Komasaufens die Geburt ihres Sohnes nicht verhindern können und begegnet ihm mit einer unmöglich zu beschreibenden Abscheu und Ekel. Der vom Alkoholkonsum gezeichnete Vater, ehemaliger Kassenwart der RAF, träumt nur von den guten alten Zeiten und seiner Gudrun Ensslin. Mit der Punkszene hatte ich nichts, mit der Punkmusik nur sehr bedingt etwas am Hut. Trotzdem habe ich mit meinem damaligen Äußeren nur für kurze Zeit wohl so ein bißchen das Klischee des Landeies bedient. Nach den ersten blöden Sprüchen, wie sie nur von Urberlinern kommen können, habe ich sehr schnell gelernt, mich zu wehren, und mittlerweile sprüchekloppe ich mich mit den Berlinern auf Augenhöhe. Für das erste Jahr durfte ich mich bei Benno, einem schwulen Medizinstudenten, in einer Wohnung in Schöneberg einnisten. Wir waren beide illegale Untermieter und nach der „Kündigung“ hat es mich in den Wedding verschlagen. Ins tiefste Kreuzberg, der Nische und dem Tummelplatz der Wessis, habe ich mich nur selten verirrt. Daß sich Roberts und meine Wege gekreuzt hätten, wäre also auch schon von daher höchst unwahrscheinlich gewesen. Aber auch ich habe, wenn ich nicht gerade mit dem Studium beschäftigt war, so meine Erfahrungen in und mit der Stadt gemacht, die ich nicht missen möchte und die in Heidelberg so nicht möglich gewesen wären. Dieser Film sowie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und „Herr Lehmann“ könnten den Schluß zulassen, daß West-Berlin damals nur von auf Staatskosten stets partymachenden jungen Leuten bevölkert wurde, die allmählich im Drogen-, Alkohol- oder sonstigem Szenesumpf versanken. Aber das Leben der „normalen“ Mehrheit bietet naturgemäß kein überwältigend aufregendes Filmmotiv. Wenn sich die Möglichkeit bietet, den Film mit Hörfilmbeschreibung zu sehen, bin ich ein zweites Mal dabei, da waren die Hörfilmbeschreiber sicher ganz schön gefordert!!!

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Das ewige Leben

Dies ist nach „Komm, süßer Tod“, „Silentium“ und „Der Knochenmann“ die vierte Verfilmung aus einer Krimibuchreihe von Wolf Haas, in der sich der auf dem sozialen wie gesundheitlichen Treppchen stets abwärtsbewegende Privatdetektiv Brenner für die Erhöhung der Aufklärungsquote von Verbrechen in Österreich einsetzt. Brenner ist also so eine Art Dauerbrenner. Ohne Souffleur und Greta war ich auf das Deuten von Geräuschen und das Gesprochene angewiesen und prompt begann der Film mit einem tumultartigen Dialog in einer südosteuropäischen Sprache. Im Nachhinein hat dieses erste Nichtverstehen glücklicherweise meinem Verständnis der Handlung keinen Abbruch getan. Danach ging’s nur noch auf Deutsch bzw. Österreichisch, also a bisserl gemächlich und gemütlich weiter. Und genau so wird Brenner in einer Wiener Amtsstube von einer Beamtin erklärt, daß er als – von mir geschätzt – Endfünfziger frühestens mit 84 Jahren mit einer Mindestrente rechnen könne. Arbeitslos, wohnungslos, gesundheitlich angeschlagen und nicht krankenversichert, hat er natürlich kein Boot und auch kein Pferd, aber wie ihm plötzlich einfällt, immerhin ein Haus. Mit seinem Führerschein bewaffnet und dem, was er auf der Haut trägt, schwingt er sich auf sein Moped und macht sich widerwillig, aber notgedrungen auf den Weg zu seinem seit Jahren leerstehenden Elternhaus nach Graz. Dort kommt er im strömenden Regen bei Dunkelheit an und versucht zunächst, den Strom zu reaktivieren. Als ihm das irgendwie gelingt, setzt sich die ewige Schallplatte, und zwar die noch auf dem Plattenspieler ausharrende, in Gang: Eric Burdon mit dem Song „When I was young“. So liebenswert leiernd und knisternd, wie es eben nur eine Schallplatte vermag, singt Mr. Burdon mit seiner unverkennbaren Stimme je nach Stromzufuhr über die längst vergangenen Zeiten. Auch Brenner wird ganz schnell ein Lied von seiner Vergangenheit singen können und müssen. In gelegentlichen Rückblenden ist er als junger Mann mit seinen drei Kumpels, Köck, Aschenbrenner und dem in der Gegenwart nicht mehr auftauchenden „vierten Mann“ zu sehen. Die vier haben gemeinsam die Polizeiausbildung absolviert, sind zusammen verreist und haben so den einen oder anderen Blödsinn angestellt. Den nicht gerade als Sympathieträger durchgehenden Köck sucht Brenner als Erstes auf, um bei diesem seine Waffe, eine Walther PPK, in Bares umzusetzen. Von dieser Art Waffe sind viele im Umlauf. Köck betreibt inzwischen ein mehr schlecht als recht laufendes An- und Verkaufsgeschäft. Gegen den Willen Brenners telefoniert er recht schnell den Aschenbrenner dazu, der als Einziger von der Clique Karriere gemacht hat und als Brigadier der Grazer Polizei vorsteht. Das Auftauchen Aschenbrenners als der personifizierten Polizei löst eine Kette tragischer Ereignisse aus. Während es Brenner gelingt, trotz einer Kopfschußverletzung gerade noch so lebend in einem Krankenzimmer aufzuwachen, hat Köck diesbezüglich weniger oder vielmehr gar kein Glück. Brenner will nicht glauben, was man ihm erzählt, nämlich daß er versucht hätte, sich selbst umzubringen. Fatalerweise hat er aber mit einem dramatischen Gedächtnisverlust zu kämpfen. So nach und nach berappelt er sich wieder, erinnert sich an seine Qualitäten als Privatdetektiv und bringt Licht in das sehr vertrackte Dunkel. Der von Josef Hader wunderbar gespielte Brenner hat als jemand, der nichts zu verlieren hat, vor nichts und niemandem, nicht einmal vor sich selbst Respekt. Das bekommen die ermittelnden Polizisten, die Ärzte und Krankenpfleger und auch die ihn behandelnde und eine Schlüsselrolle einnehmende Psychologin zu spüren. Wer wie ich Freude an (selbst-) ironischen, spöttischen und eindeutig zweideutig zu verstehenden Schlagabtauschen hat, ist in diesem Film bestens aufgehoben. Eine sehr wichtige Rolle spielt die von der vierköpfigen Wiener Band „Sofa Surfers“ beigesteuerte Filmmusik! Brenners Kopfschmerzen waren so drastisch plastisch vertont, daß Ansteckungsgefahr drohte. Die musikalische Untermalung hat mir auch oft geholfen, das Geschehen auf der Leinwand zwischen den Dialogen zu erahnen. Wäre die für tausende von Euro doch bereits produzierte Hörfilmbeschreibung über Greta verfügbar gewesen, hätte ich genauso oft lachen können wie all die anderen Zuschauer! Ich mache jetzt mal eine Milchmädchenrechnung auf: Bei 8,00 Euro pro Eintrittskarte müßten sich nur 200 Leute, idealerweise Kinoblindgänger, zusätzlich den Film anschauen, verteilt auf sämtliche Kinos der ganzen Republik. Damit wären die für Greta anfallenden 1.600,00 Euro schon eingespielt. Das sollte doch zu schaffen sein, oder???

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Verstehen Sie die Béliers?

Verstehen Sie die Béliers? Bei Paula, der 15-jährigen Tochter der Béliers, hatte ich diesbezüglich keine Probleme. Schwierig bis aussichtslos gestaltete sich das bei dem Rest der Familie, ihren gehörlosen Eltern und dem älteren Bruder, aber Paula hat ja ganz oft für die Zuschauer gedolmetscht. Die vier kommunizieren per Gebärdensprache und man könnte meinen, daß es im Leben der Béliers deshalb still zugeht. Das fehlende Geplapper bei den Mahlzeiten wird durch heftiges Tellergeklapper ersetzt. Die Maman poltert ständig durchs Haus und ich dachte gleich an Holzpantinen. Google hat mich aufgeklärt, daß sie, nicht unbedingt typisch für einen Bauernhof, auf High Heels über den Hof stakst. Paula begrüßt ihre Familie gern mit „Hallo, Ihr Dumpfbacken!“, aber das ist lieb gemeint. Gemeinsam bewirtschaften sie einen kleinen Bauernhof mit Molkerei in der französischen Provinz ungefähr zwei Autostunden von Paris entfernt. Da gibt es lebende Kühe und Hühner, ein Hund meldet sich ständig zu Wort und den neugeborenen Kälbchen werden sogar liebevoll Namen gegeben. Da wäre das kleine Mädchen, das vor einigen Jahren in einer Fernsehwerbung als Urlaubswunsch sehr energisch gefordert hat „Ich will Kühe“, sehr gut aufgehoben gewesen. Gleich zu Beginn des Films hört man Paula zu einem weltweit rauf und runter gedudelten Popsong trällern und bekommt sofort eine Ahnung von ihrem Stimmvolumen. Die Darstellerin der Paula singt übrigens personifiziert. In der Schule muß sie sich für eine Arbeitsgemeinschaft entscheiden und landet eher zufällig in dem von Monsieur Thomasson geleiteten Chor. Dieser fühlt sich in der Provinz total deplaziert und überqualifiziert und macht aus seiner Verachtung den Schülern gegenüber keinen Hehl. Alternativlos schlägt er als Repertoire die Stücke des französischen Chansonniers Michel Sardou vor und ringt den Schülern damit nur ein müdes Gähnen ab. Sie hätten lieber etwas Moderneres gesungen. Michel Sardou ist vor allem mit einigen seiner Chansons aus den 70ern weit über Frankreich hinaus bekannt geworden, z.B. „La Maladie d’amour“, „En chantant“. Den Schülern bleibt nichts erspart und so müssen sie sich einer nach dem anderen beim Einzelvorsingen mehr oder weniger blamieren. Als Paula an der Reihe ist, erkennt Monsieur Thomasson sofort ihr stimmliches Potential und beginnt, sie in Einzelunterricht für die Aufnahmeprüfung des berühmten Chores „La Maîtrise de Radio France“ vorzubereiten. Jetzt geht in Paulas eh schon minutiös durchgeplantem Tagesablauf alles drunter und drüber. Mal muß sie die Eltern wegen deren Geschlechtskrankheit zum Gynäkologen begleiten, mal auf dem Markt beim Käseverkauf helfen, mit dem Tierarzt und überhaupt allen anderen sprechen oder telefonieren. Zu allem Überfluß will ihr Vater auch noch während des gerade anstehenden Wahlkampfes für das Amt des Bürgermeisters kandidieren. Die Eltern leben, wenn auch diskret, ihr Sexualleben trotz ihrer Geschlechtskrankheit aus und auch der sonst so gut wie gar nicht in Erscheinung tretende Bruder macht seine ersten Erfahrungen in dieser Hinsicht. Paula ist in Gabriel verliebt, mit dem sie ein Duo beim Schulkonzert singen soll, hat aber für ihre erste Liebe kaum Zeit. Eines Tages faßt sie sich ein Herz und eröffnet das Gespräch mit ihren Eltern mit dem Satz: „Ich muß euch etwas Wichtiges sagen“. Prompt kommt die Frage, ob sie schwanger sei. Von meiner Mutter kam genau diese Frage, als ich meinen Eltern sagte, daß ich nach Berlin gehen möchte. Nach der ersten Erleichterung beim Verneinen der Frage folgt bei Paulas wie auch damals bei meinen Eltern die Ernüchterung. Aber zuerst sind die Eltern stolze Zuhörer bei dem Schulkonzert. Der Chor singt „La Java de Broadway“ und Paula mit Gabriel als Duo „Je vais t‘aimer“. Beide Chansons weitaus schöner als von Monsieur Sardou gesungen. Während des Konzertes hört man plötzlich nicht mehr den Gesang, sondern ein Geräusch, so wie es Gehörlose hören könnten. Eine Mischung aus einem Dröhnen und Rauschen, so ein bißchen wie in einer Unterwasserwelt. Aber wie soll jemand, der nicht hören kann, beschreiben, was er wahrnimmt und was nicht und wie sich das für ihn anhört? Wenn mich jemand fragt, was und wieviel ich sehen kann, fällt mir das auch immer sehr schwer. Das Finale ist dann so herzzerreißend anrührend, fast ein klitzekleines bißchen kitschig, aber so schön. Paula singt in Paris vor der Jury des berühmten Chors „Je vole“, auch wieder von Michel Sardou, während ihr Lehrer sie auf dem Piano begleitet. Ihren Eltern dolmetscht sie den Text des Chansons per Gebärdensprache. Auch bei diesem Lied kann Michel Sardou Paula nicht das Wasser reichen, finde ich! Starks war dieses Mal solo, also ohne Greta, im Kino, es gab damit nur Untertitel für Gehörlose. Wenn Paula nicht laut gedolmetscht hat, mußte mir meine Freundin Andrea nicht nur kurze Bildbeschreibungen zuflüstern, sondern auch die Untertitel vorlesen.

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