Blog Blindgaengerin

Wo ist Anne Frank

„Anne? Margot? Otto? Edith? Wo sind denn alle?“

ruft ein rothaariges Mädchen in einem schummrigen, menschenleeren Museumsraum beunruhigt in

„Wo ist Anne Frank“,

dem gezeichneten Animationsfilm von Ari Folman, seit dem 23. Februar im Kino!

Diese Frage, auf die es seit Langem mit trauriger Gewißheit eine Antwort gibt, ließ Marie auf ihrem Filmstreifen aufhorchen und nach einer längeren Pause sofort aktiv werden. Marie, so nennt die Kinoblindgänger gGmbH ihre mit Spenden- und Sponsorengeldern produzierten barrierefreien Fassungen. Wer sich ein Bild von Marie machen möchte, kann das auf Kinoblindgängers Webseite tun.

„Der aus einer ganz neuen Perspektive erzählte, so klug gemachte berührende Film über Anne Frank und ihre Familie muß unbedingt auch für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Seh- oder Hörbeeinträchtigung zugänglich sein“,
waren sich Marie und „Anderes Sehen e.V.“ sofort einig.
Ein herzliches Dankeschön für die großartige Unterstützung an den engagierten Verein, Deutschlands größter Initiative zur Förderung und autonomen Mobilität blinder Kinder!

Das Kinoblindgänger-Team stürzte sich unverzüglich in die Arbeit und die Audiodeskription und erweiterten Untertitel waren rechtzeitig zum Kinostart bei der Greta App bereitgestellt.
Den barrierefreien Trailer gab es bereits vorher in Blindgängerins YouTube-Kanal. Die Audiodeskription spricht wie auch die im Film Sascha Gluth.

Aber wer ist eigentlich das rothaarige Mädchen?
Während sich Familie Frank von Juni 1942 bis August 1944 in einem Amsterdamer Hinterhaus vor den Nazis versteckte, schrieb Anne ein Tagebuch in Briefform. Als Adressatin ihrer Briefe hatte sie sich eine beste Freundin namens Kitty ausgedacht.
Heute ist der Ort des Verstecks ein weltweit bekanntes Museum und genau dort geschieht an einem stürmischen Morgen folgendes:
In dem schummrigen Museumsraum zerspringt das Glas des Schaukastens, in dem Annes Original-Tagebuch aufgeschlagen liegt. In der ersten Zeile steht in Schreibschrift: „Liebe Kitty“, daneben steckt ein Füller in einem Halter. Dicke schwarze Tintentropfen fallen auf die Buchseiten.
Wie von Zauberhand löst sich die Schrift vom Papier. Feine schwarze Linien schlängeln sich im Lichtkegel empor. Aus ihnen formt sich ein Arm mit Hand.
Füße berühren den Steinboden. Aus den Linien wird ein schlankes Mädchen in einem altmodischen graugrünen Kleid mit weißem Kragen. Sie hat rotes gewelltes Haar, blaue Augen und Sommersprossen.

Im Museumsraum verhallen Kittys Rufe nach Anne ungehört. Das ändert sich, als sie über eine schmale Treppe in ein Zwischengeschoss schleicht, durch eine halbhohe Luke steigt und über eine zweite Treppe in Annes kleines Zimmerchen gelangt. Dort auf dem Schreibtisch liegt nun das Tagebuch und Kitty beginnt darin zu blättern!
Mehr verrate ich wieder einmal nicht.

Susanne Linzer, Ralf Krämer und ich hatten jedenfalls beim Texten der Audiodeskription ganz schön zu tun, diesem quirligen Teenager-Mädchen auf den Fersen zu bleiben. Mal plaudert sie mit Anne in der Vergangenheit, mal flüchtet sie im Jetzt mit dem Original-Tagebuch über die vereisten Grachten und Amsterdamer Straßen vor der Polizei.
Mal ist sie für ihr Gegenüber unsichtbar, mal löst sich ihr Körper in feinen, sich nach oben schlängelnden Linien auf, um sich kurz danach wieder zu stabilisieren.
Kitty verfügt über einen genauso wachen Verstand wie Anne und bleibt nicht in der Vergangenheit stecken, ganz im Gegenteil.

Ich kann nur allen empfehlen, sich ebenfalls im Kino an Kittys Fersen zu heften und es zu genießen, einen Film in dem wunderbaren Ort KINO zu erleben. Dieses Vergnügen war Anne, wie sie ihrem Tagebuch anvertraute, in den letzten Jahren ihres kurzen Lebens nicht mehr vergönnt.

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