Der kleinste gemeinsame Nenner der beiden Filme ist das Produktionsland USA und daß eine der Hauptrollen von der Musik gespielt wird.
Zuerst gab es ein chorales „Halleluja“ in Weiß und danach ein schwarzes gerapptes „Fuck Tha Police“.
Genauso unterschiedlich wie die Filme war das Publikum, nur ich war beide Male dieselbe.
In „Der Chor – Stimmen des Herzens“ durfte ich mich zu den Jüngeren zählen und die meisten verließen ergriffen flüsternd den Kinosaal.
Nach einer einstündigen Pause saß ich wahrscheinlich als Älteste bei
„Straight Outta Compton“ unter Hip-Hop- und Rap-begeistertem Jungvolk, das entsprechend geräuschvoll nachts gegen 02.00 Uhr mit mir mitten drin ins Freie strömte.
1741 schrieb der deutsch-britische Komponist Georg Friedrich Händel das dreiteilige Oratorium „Messias“ in A-Dur und D-Dur für Solisten, Chor, Orgel, Cembalo und Orchester.
Mit genau diesem englischsprachigen Werk tritt einer der besten Jugendchöre der Welt, der US-amerikanische „National Boychoir“ bei einem Wettbewerb gegen seine internationale Konkurrenz an.
Im zweiten Teil des Messias singt der Schlußchor das wohl jedem bekannte „Halleluja“.
Um die Chance auf den heißbegehrten ersten Platz zu erhöhen, peppt die Chorleitung dieses „Halleluja“ mit einem eigens komponierten Solo auf, in dem das eigentlich unerreichbare hohe D gesungen werden muß.
Auf meiner Gitarre habe ich dieses hohe D vergebens gesucht, es läßt sich nur mit der Technik des Flageolett-Tones erzeugen.
Sogar der weltberühmte italienische Tenor Pavarotti wurde als Meister „nur“ des hohen C gefeiert.
Im Film gelingt es immerhin zwei der 12-jährigen Knaben, ihrer Kehle diesen Ton zu entlocken.
Einer der beiden ist Stet, gespielt von Garrett Wareing.
Nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter durch einen Verkehrsunfall muß nun sein Vater die Verantwortung übernehmen, nachdem er sich 12 Jahre lang auf das Ausfüllen von Alimentenschecks beschränkt hatte.
Für den Vater ist Stet die etwas lästige Folge eines 12 Jahre zurückliegenden „Verkehrsunfalls“. Bei seiner Frau und den beiden gemeinsamen Töchtern hat er die Existenz eines Sohnes sicherheitshalber unter den Tisch fallen lassen. Glücklicherweise gibt es überall auf der Welt Schulinternate und die Abschiebung auf ein solches, am besten auf einem anderen Kontinent, scheint ihm eine elegante Lösung des Problems zu sein.
Dank seiner herausragenden Stimme und seines finanzkräftigen Vaters erhält Stet die – wenn auch zähneknirschende – Zustimmung des Direktoriums zur Aufnahme in das Musikinternat an der Ostküste mit der renommiertesten Chorschule der USA.
Ihm gelingt damit eine rasante Fahrt mit dem sozialen Aufzug nach oben.
Im Internat legt er sich mit fast all seinen hochnäsigen Mitschülern an und revoltiert bis auf eine Ausnahme gegen die Lehrerschaft.
Aber der Film lechzt nach einem Happy End und bekommt das auch, abgesehen von einem Wermutströpfchen.
Für die vorhersehbare und flache Filmhandlung entschädigen die wunderschöne unter die Haut gehende Chormusik und der 78-jährige Dustin Hoffman als charismatischer Chorleiter.
Der kanadische musikerfahrene Regisseur François Girard gewährt uns Einblicke in den Schulalltag und besonders den Musikunterricht der Jungs. Der strenge Chorleiter Carvelle triezt seine Schüler mit Atemübungen, mathematischen Formeln ähnelnder Musiktheorie und straff geführten Proben zu Höchstleistungen. Aber um welchen Preis?
Die Uhr tickt für uns alle in jeder Hinsicht, aber für die Chorknaben rasen die Zeiger besonders gnadenlos auf den alles beendenden Stimmbruch zu.
Stet gelingt das Unmögliche und er brilliert beim „Halleluja“ mit dem
hohen D.
Meine Mutter singt, solange ich zurückdenken kann, in einem Bach-Chor und hat meine Zweifel beseitigt, ob der Junge uns wirklich das hohe D gegeben hat. Allerdings muß solch eine außerordentliche Leistung nicht unbedingt mit dem entsprechenden Genuß für die Ohren einhergehen.
Kaum war das „Halleluja“ mit dem hohen D verstummt, gab es lauten Gangsta-Rap und Hip-Hop auf meine beiden Ohren. Im rechten Ohr hatte ich zusätzlich die Hörfilmbeschreibung, die mich auch dank der ruhigen Stimme des Sprechers über dieses Chaos rettete.
„Straight Outta Compton“ heißt nicht nur der Film, sondern ist auch der Titel des am 08.08.1988 erschienenen Erfolgsalbums des Hip-Hop-Kollektivs N.W.A aus Compton im südlichen Großraum von Los Angeles.
N.W.A. steht für „Niggaz Wit Attitudes“. Attitude bedeutet Haltung, innere Einstellung, ein großes Wort für die teilweise recht fragwürdigen Inhalte, die in das Publikum gerappt werden.
Der Regisseur F. Gary Gray läßt in 147 Filmminuten neun Jahre Revue passieren, in denen die Fünf der N.W.A.-Crew 1986 klein anfangen, zu Ruhm und viel Geld kommen, sich bitter zerstreiten und sich zu guter Letzt 1995 am Sterbebett von Eazy-E wieder annähern.
Die anderen vier, noch unter den Lebenden verweilenden Gründungsmitglieder heißen Dr. Dre, Ice Cube, DJ Yella und MC Ren.
Mit dem Skandalsong „Fuck Tha Police“ von 1988 trafen die Fünf den Nerv ihrer Generation, sie wurden schlagartig als Helden gefeiert und kamen quasi über Nacht zu Geld und Ruhm. Nicht unerheblich verdanken sie diesen Erfolg der freundlichen Unterstützung durch das FBI, weil es das Zurückziehen der Platte erreichen wollte.
Das Thema weiße Polizeigewalt gegen, wie darf ich eigentlich sagen, Farbige, ist heute leider immer noch aktuell. Aber die erste Filmszene, in der ein panzerähnliches Gefährt die Fassade eines Hauses niederwalzt, um ein vermutetes Drogengeschäft aufzudecken, ist so hoffentlich heute nicht einmal mehr in den USA möglich.
Die unterschiedlich fließenden Geldströme führen recht schnell zu heftigen Streitereien und schließlich zum Bruch, was vor allem und wie auch eine Menge der Kohle auf das Konto des zwielichtigen Musikmanagers Jerry Heller geht.
Während der gesamten Filmzeit lag immer eine Spannung in der Luft, die sich jederzeit zu einer saftigen Prügelei mit viel Scherben und immer einer Schnapsflasche in der Hand entladen konnte und auch entladen hat.
Das weibliche Geschlecht übernimmt bis auf wenige Ausnahmen den Part, barbusig zur allgemeinen Erheiterung beizutragen.
Obwohl immer mindestens drei Rapper gleichzeitig mit ihren kaum zu unterscheidenden Stimmen durcheinander quatschen, ist es den Hörfilmbeschreibern gelungen, das Chaos zu sortieren, bestimmt mit der einen oder anderen Schweißperle auf der Stirn.
An meiner meist nur mäßigen Begeisterung für Rap und Hip-Hop konnte der Film nichts ändern und der Chorleiter Carvelle würde sich wahrscheinlich weigern, den Rap überhaupt als Musik durchgehen zu lassen.
Aber die alte Volksweisheit „Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“ trifft zumindest teilweise auch auf die fünf Rapper zu.
Ich mag Filme, in denen die Musik im engen und weiteren Sinne die Hauptrolle spielt und kam bei beiden voll auf meine Kosten. Oh, what a night!