Blog Blindgaengerin

Oktober 2017

Django Reinhardt mit der Gitarre auf der Bühne. Weißer Anzug, weinrotes Hemd mit Krawatte. Die dunklen Haare streng zurückgekämmt, dazu ein kleiner Schnurrbart. Django schaut beim Spielen auf seine linke Hand, die Greifhand.

Django – ein Leben für die Musik

Ein- beziehungsweise beidhändig agieren sie alle drei blitzschnell und mit flinken Fingern präzise auf den Punkt: Ihr Name ist Django! Zwei sind Revolverhelden und beweisen ihre todbringende Fingerfertigkeit nur als rein fiktive Filmfiguren. Der Erste bereits vor 51 Jahren in dem Italowestern „Django“ und Nummer zwei in dem US-amerikanischen Spielfilm „Django Unchained“ von 2012. Über den Dritten im Bunde startete jetzt am 26. Oktober ein Kinofilm aus Frankreich! „Django – Ein Leben für die Musik“ Das Team der Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH war von dem Filmportrait des legendären, natürlich nicht fiktiven Jazzgitarristen Django Reinhardt genauso fasziniert wie das des Berlinale Festivals. Deshalb gibt es für den diesjährigen Berlinale-Eröffnungsfilm jetzt zum regulären Kinostart eine Marie! Sie macht mit der Audiodeskription und den erweiterten Untertiteln, produziert und finanziert von der Kinoblindgänger gGmbH, diesen großartigen Film für alle barrierefrei erlebbar. Dazu gehört wie immer auch die Bereitstellung der Marie (barrierefreie Fassung) auf der App Greta und Starks. Das übernahm für „Django“ der Verleih. Dafür ein herzliches Dankeschön an den „Weltkino Filmverleih“! Django Reinhardt wurde als Sohn französischsprachiger Sinti 1910 in Belgien geboren. Nach einigen Jahren mit seinen Eltern in Nizza, Italien, Korsika und Nordafrika wuchs er ab 1918 in einer Wohnwagensiedlung am Stadtrand von Paris auf. Schon als 12-jähriger begann er seine professionelle Musikerkarriere. Der französische Regisseur Étienne Comar konzentriert sich in seinem Spielfilm auf Djangos Leben ab 1943 und endet mit einer sehr berührenden Szene kurz nach Kriegsende im Mai 1945. Der virtuose Gitarrist gilt als Begründer und Vorreiter des europäischen Jazz und schuf mit dem Gypsy-Swing einen neuen Musikstil. Dieser Rhythmus, daß jeder mit muß! (singt Udo Lindenberg) Und dieser Hörschnipsel mit Audiodeskription ist der beste Beweis! Hörschnipsel 1: Hoppla, beinahe wäre die Marie der Kinoblindgänger gGmbH vor Begeisterung von ihrem Filmstreifen gepurzelt! Diese Kostprobe stammt von einem Konzert des berühmten Quintette du Hot Club de France im einem Pariser Theatersaal im Sommer 1943. Django spielt die Solo-, sein Bruder Joseph die Begleitgitarre. Djangos Welt, in der nur Platz für Musik ist, scheint bis dahin in Ordnung zu sein. Sogar im Konzertsaal anwesende uniformierte Nazis können sich dem Bann der doch als „Negermusik“ verpönten Rhythmen nicht ganz entziehen. Aber schon am selben Tag ziehen dunkle Wolken am Horizont auf. Reichspropagandaminister Goebbels zitiert Django mit seinen Mitspielern ins Deutsche Reich, für eine Tournee zur Erheiterung der deutschen Soldaten. Zunächst hindert ihn nur seine gekränkte Musikerehre, der Order Folge zu leisten. Denn die absurden Auflagen der Nazis, was er wie zu spielen und vor allem nicht zu spielen habe, lassen von seiner Musik nicht mehr viel übrig. Aber schließlich erkennt auch er den Ernst der Lage. Er flieht mit seiner schwangeren Frau und seiner Mutter in die Nähe der Schweizer Grenze, wo sich bereits einige Familien seines Clans mit ihren Wagen versammelt haben. Dort wird die Situation für alle Beteiligten mit jedem Tag bedrohlicher. Der folgende Hörschnipsel gehört zu meinen Lieblingsstellen des Films. Er „zeigt“ Djangos obercoole Maman, dargestellt von Bimbam Merstein, in ihrem Element. Hörschnipsel 2: In dem Hörschnipsel ist neben den Filmfiguren nicht nur Nadja Schulz-Berlinghoff, die Sprecherin der Audiodeskription, zu hören. Denn die auf Romanes geführten Dialoge, die als Untertitel eingeblendet sind, werden von Susanne Hauf, Andreas Sparberg und Pascal Cürsgen gesprochen. Den Text der Hörfilmbeschreibung erarbeitete das sehr gut eingespielte Trio, das aus Inga Henkel, Lena Hoffmann und mir besteht. Besonders aufmerksam schauten wir Reda Kateb, dem Darsteller des Django, beim Gitarre spielen auf die Finger seiner linken Hand. Der wahre Django konnte nach einem Brandunfall nur noch mit zwei statt mit vier Fingern die Saiten greifen. Kleiner Finger und Ringfinger waren verkrümmt und versteift, ihm blieben nur Zeige- und Mittelfinger. Bei Akkorden behalf er sich zum Greifen der tiefen E-Saite mit dem Daumen, der auf dem Griffbrett eigentlich nichts zu suchen hat. Vor diesem Hintergrund sind die Tempi, mit denen Django seine Läufe spielte, um so phänomenaler! Bei Reda Kateb, der vor den Dreharbeiten ein Jahr lang diese Art des Gitarrenspiels einübte, konnten wir diese ganz spezielle Technik beobachten und haben das auch genau beschrieben. Optisch wirkt das sehr glaubwürdig. Für den akustischen Genuß sorgte tatsächlich aber der niederländische Gitarrist Stochelo Rosenberg, der die Stücke seines Idols Django für den Film neu einspielte. Ein Leben ohne Musik ist für mich undenkbar und deshalb ist ganz klar, welcher der drei Djangos mir der liebste ist!

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Vier Minuten Ann Vielhaben lauschen!

Wer die Wahl hat, hat die Qual! Diesen Spruch konnte ich noch nie leiden. Sich beim Wählen quälen, so ein Quatsch. Keine Wahl zu haben, ist viel schlimmer! Auch wenn’s manchmal schwerfällt, es ist doch ein Glücksfall, sich zwischen mehreren Möglichkeiten entscheiden zu können. Bei der Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH war im letzten Januar zum vierten Mal Wahltag! Nach „Mein Leben als Zucchini“ galt es, das nächste Projekt anzugehen, also einen neuen Film unter den Kinostarts der kommenden Monate auszuwählen. Gewürfelt wird natürlich nicht bei dem Prozedere, aus der Filmflut genau den einen herauszupicken, der möglichst viele Besucher begeistern könnte. Dafür spricht zum Beispiel, wenn ein Film bereits in seinem Heimatland und auf nationalen wie internationalen Filmfestivals von Publikum und Filmkritikern gleichermaßen gefeiert wurde. Sehr oft trifft das bei Filmen zu, die humorvoll mit geistreichen Dialogen, Wortwitz und Situationskomik auch ernste Themen auf die Leinwand bringen. Ganz wichtig ist auch die Filmmusik, ob und wie sie das Filmgeschehen ergänzt und abrundet. Wie schon seine drei Vorgänger, erfüllte diese Kriterien „Ein Tag wie kein anderer“ Mit der Marie, wie die Kinoblindgänger gGmbH die barrierefreie Fassung nennt, startete dieser einzigartige Tag barrierefrei am 11. Mai in den Kinos! Und genauso barrierefrei ist er seit dem 21. September als DVD und Blu-ray erhältlich! Der sympathische israelische Regisseur Asaph Polonsky, den ich bei der Premiere im Berliner Kino „Filmkunst 66“ begrüßen durfte, erzählt seine Geschichte über einen ganzen Tag in nur 98 Minuten. In meinem Blogbeitrag zum Film schrieb ich unter anderem darüber, wie behutsam er das in so kurzer Zeit tut. Die Sprecherin der Audiodeskription war Ann Vielhaben. In zwei Hörschnipseln, die in den Blogbeitrag eingearbeitet sind, kann man sich anhören, wie wunderbar ihre Stimme das Filmgeschehen begleitet. Oder man bleibt hier, klickt auf den Link und läßt sich ungefähr vier Minuten lang einfach schön von ihr vorlesen. Ihr habt die Wahl! Oder macht einfach beides! Diese Wahl möglich gemacht und freundlich unterstützt haben Ann Vielhaben und das Tonstudio speaker-search, dafür ein großes Dankeschön!  

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Zwei Mäuse als Stofffiguren vor der Berliner Oberbaumbrücke. Die kleinere Maus trägt einen roten Schal. Sie hält einen weißen Langstock. Die größere Maus schielt. Sie hat geknickte Ohren und eine sehr große gebogene Nase.

Blind & Häßlich

„Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage!“ „Das Blindsein, spielen Sie das eigentlich nur?“ Als mich vor ca. zehn Jahren ein Berliner Taxifahrer mit dieser Frage irritierte, dachte ich, ich sei im falschen Film. Dabei war ich doch gerade erst auf dem Weg ins Kino, bewaffnet mit meinem weißen Langstock. Und genau das war das Problem, jedenfalls das des Taxifahrers. Diese Anekdote war für mich im doppelten Sinne eine einmalige. Weil sich allerdings das Gerücht bis heute hartnäckig hält, man könne nur sehenden Auges Spaß im Kino haben, werde ich nicht müde, immer wieder zu betonen: Das geht auch ausschließlich hörenden Ohres! Im Idealfall mit einer Audiodeskription, die dann über die App Greta zum Download bereitgestellt ist. Beides war zu meiner Begeisterung der Fall bei „Blind & Häßlich“ Oh je, schoß es mir bei dem Filmtitel erst einmal durch den Kopf! Was hat sich der Regisseur Tom Lass da bloß geballt für eine Filmfigur einfallen lassen? Aber wie bei „Dick und Doof“ verteilen sich die beiden Adjektive auf zwei paar Schultern. Die erste Eigenschaft schultert die 18-jährige Jona. Aber sie tut genau das, was mir der Taxifahrer damals unterstellt hat. Sie spielt das Blindsein nur. Nach der rechtlichen, etwas umständlich formulierten Definition ist blind, wer auf dem besser sehenden Auge selbst mit Brille oder Kontaktlinse nicht mehr als zwei Prozent von dem sehen kann, was ein Mensch mit normaler Sehkraft erkennt. Die inzwischen 24-jährige Naomi Achternbusch hat es in ihrem ersten Film als Jona gleich mit einer Doppelrolle zu tun. Sie switcht zwischen Blindsein und Nichtblindsein hin und her. Und das macht sie sehr überzeugend, gefühlvoll und kein bißchen peinlich! Denn das Blindsein spielen will gelernt sein. Dazu gehört, sich nach allen Regeln der Kunst mit dem weißen Langstock zu bewegen, immerfort zu schielen und nicht doch aus Versehen auf das Handy zu linsen, statt das Gequatsche der Voice Over-Stimme abzuwarten. Viel Beherrschung bedarf es bestimmt auch, dem Reflex zu widerstehen, mit den Pupillen der Hand zu folgen, die einem vor den Augen herumfuchtelt. Und immer den Ball flach halten, nie einfach losrennen oder eine Information nutzen, die einem eigentlich verborgen bleiben müßte. Die glaubwürdige Balance zwischen Souveränität und an Grenzen stoßen, die macht’s aus! Der Grund für Jonas Spiel ist ein ganz pragmatischer: Im Blindenwohnheim ist noch ein Zimmer frei! Irgendwo muß sie schließlich unterkommen, nachdem sie mit dem Auto ihrer Mutter von zu Hause nach Berlin abgehauen ist. Und ein WG-Zimmer zu ergattern, scheitert schon an den sehr abstrusen, aber amüsanten Bewerbungsgesprächen. Den Plan haben die beiden Kusinen Jona und Cecile gemeinsam ausgeheckt. Cecile, die bereits in dem Heim wohnt, könnte nur das Nichtblindsein spielen. Überlegungen, die Geschichte aus dieser umgekehrten, eigentlich sehr spannenden Perspektive zu erzählen, gab es anfangs tatsächlich, wurden aber wieder verworfen. Das Täuschungsmanöver wäre viel zu schnell aufgeflogen. Neben der irrwitzig komischen, unverkrampften und doch sensiblen Art und Weise, wie hier mit dem Thema Blindsein umgegangen wird, hat der Film noch eine zweite ganz große Stärke! Die heißt Clara Schramm, war bei den Dreharbeiten 16 Jahre alt und ist blind! Als Cecile hat sie mit ihrer natürlichen Art und ihrem sonnigen Gemüt sofort mein Herz erobert. Ihr ist es zu verdanken, daß die sehenden Zuschauer einmal realistische Einblicke in das Leben einer blinden jungen Frau bekommen. Von mir aus hätten das noch viel mehr sein können! Naomi Achternbusch vor der Kamera und Jona im Film waren also in besten und professionellen Händen. Ihre erste Bewährungsprobe, die schneller kommt als gedacht, besteht Jona mit Bravour und rettet dabei auch noch Ferdis Leben. Jona hat natürlich die Selbstmordabsicht des verzweifelten jungen Mannes auf der Mitte einer der vielen Brücken Berlins erkannt. Wie angewurzelt bleibt sie neben ihm stehen. Sie behauptet stur, ihren Weg mit Ceciles reparaturbedürftigem Blindenführhund in die Hundeschule nur mit Ferdis Hilfe fortsetzen zu können. Denn sie sei ja blind. Der junge Mann willigt erst ein, nachdem Jona ihm beteuert, ihn nicht einmal ein bißchen sehen zu können. Ferdi hält sich nämlich für häßlich und glaubt, daß aus diesem Grund alle Frauen, die er anspricht, vor ihm Reißaus nehmen. Jetzt schöpft er aus Jonas Blindsein einen Hoffnungsschimmer und Jona selbst scheint der wirre junge Mann auch nicht ganz unsympathisch zu sein. Ferdi, gespielt von Tom Lass, ist natürlich genauso wenig häßlich, wie Jona blind ist. Das hat mir die sehr passend ausgewählte Sprecherin der Audiodeskription ins Ohr geflüstert. Ihre eher tiefere und reifer klingende Stimme hebt sich von denen der überwiegend jungen Filmfiguren sehr gut ab. So brachte sie etwas Ruhe und für mich viel Klarheit in das turbulente Geschehen. Ich hatte früher bei dem ein oder anderen Typen den Eindruck, daß er in meiner Sehschwäche einen Vorteil für sich sah, ähnlich wie Ferdi bei Jona. Allerdings nicht, um mich zur Hundeschule zu begleiten. Ich hatte gar keinen Hund! So nach dem Motto: Bei der kann ich es ja versuchen, die kriegt ja sonst keinen ab. Die habe ich alle sofort in die Wüste geschickt, kompromißlos auf den Richtigen gewartet, und der stand eines Tages vor meiner Tür! Obwohl ich im Kino lachen mußte wie lange nicht mehr, hat mich die Geschichte besonders wegen der Filmfigur der Cecile ganz schön aufgewühlt. Deshalb hat das Schreiben auch viel länger gedauert als gedacht. Jetzt lasse ich noch einmal den guten alten Shakespeare zu Wort kommen: „Menschen deuten oft nach ihrer Weise die Dinge, weit entfernt vom wahren Sinn.“

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