Blog Blindgaengerin

Oktober 2020

Die Blindgängerin vor einer weißen Fassade, an der der Putz bröckelt. Sie trägt einen bunten Hidschab, einen langen schwarzen Mantel, und hält ihren weißen Langstock. Neben ihr sitzt ein Hund, dem sie den Kopf tätschelt. Auf der anderen Seite steht eine große Plastiktasche am Boden, gefüllt mit in Alufolie gewickelten Päckchen. Geldscheine quillen aus der Tasche.

Eine Frau mit berauschenden Talenten

„Zehner, Zwanziger, Fünfziger: So zahlen Hosenscheißer, sind Sie Hosenscheißer? Zeit ist Geld!“ herrscht Madame Hasch ungeduldig ihre neuen „Geschäftspartner“ an, während bündelweise Geldscheine durch eine Zählmaschine rattern. „Sind wir nicht…“ …entgegnen bedröppelt die etwas unterbelichteten Dealer Scotch (Rachid Guellaz) und Chocapic (Mourad Boudaoud). Die beiden sind schon wegen des Ortes, an dem sie die heiße Ware in Empfang nehmen, ziemlich nervös. Madame Hasch, berauschend gespielt von Isabelle Huppert, wählt für den ersten Deal in ihrem neuen Betätigungsfeld ausgerechnet den Parkplatz vor einem Männergefängnis. Sie ist eben „Eine Frau mit berauschenden Talenten“ von Jean-Paul Salomé nach dem Roman „La Daronne“ von Hannelore Cayre, jetzt im Kino! Diese witzige und spannende Komödie aus Frankreich kann unmöglich an den Kinofans mit Hör- oder Sehbeeinträchtigung einfach so vorbeirauschen, dachte sich das Team von Kinoblindgänger. Gedacht, getan! Die Marie, so nennt Kinoblindgänger seine mit Spenden- und Sponsorengeldern produzierten barrierefreien Fassungen, ist auch schon ganz berauscht. Sie freut sich, daß die Audiodeskription und erweiterten Untertitel zum Kinostart bei der Greta App bereitstehen! Aber wer ist eigentlich diese Madame Hasch, die kofferähnliche karierte Plastiktaschen, die sie als „marokkanische Koffer“ anpreist, durch Paris schleppt und die Drogenszene aufmischt? Das interessiert die Ermittler des Drogendezernats und allen voran Hauptkommissar Philippe (Hippolyte Girardot) auch brennend. Und wenn sie wüßten, daß hinter der eleganten Erscheinung mit Hidschab, großer Sonnenbrille und Goldschmuck ihre Kollegin steckt! Patience arbeitet als Dolmetscherin und übersetzt genau in diesem Dezernat abgehörte arabische Telefonate aus der Drogenszene. Über dieses Dezernat kommt sie auch an DNA, einen in Rente geschickten Polizeihund, speziell auf Drogen abgerichtet. Beste Voraussetzungen also, die Polizei und die gefährliche „Konkurrenz“ an der Nase herumzuführen. Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten! Nur soviel sei gesagt, Patience wird natürlich nicht von Knall auf Fall zu Madame Hasch. Dieser Schritt ist ein längerer Prozeß und Patience hat ihre Gründe. Neben turbulenten Actionszenen gewährt der Film Einblicke in ihr Leben. Sie ist seit vielen Jahren verwitwet, hat zwei erwachsene Töchter und kümmert sich liebevoll um ihre in einem Pflegeheim untergebrachte Mutter. Und dann ist da noch der Hauptkommissar Philippe. Im Trailer bekommt man schon so eine Ahnung, und den gibt’s mit Audiodeskription und erweiterten Untertiteln! Zu finden ist dieser Trailer im brandneuen Youtube-Kanal der Blindgängerin, den sie mit der Kinoblindgänger gGmbH teilt! Wer hinter der barrierefreien Fassung steckt, ist natürlich kein Geheimnis. Die Arbeit an der Audiodeskription trieb uns allen wegen der Dialogdichte, der vielen Personen und schnellen Szenenwechsel die eine oder andere Schweißperle auf die Stirn. Text Angela Bernhardt und Barbara Fickert, Redaktion Ralf Krämer und Jürgen Schulz, Sprecher der AD Felix Würgler, Sprecher und Sprecherinnen der Untertitel/ Voice Over: Pascal Cürsgen, Marco Wittorf, Susanne Hauf, Ilka Teichmüller. Produziert bei 48hearts productions/ speaker-search, Tonaufnahme Gislinde Böhringer. Die SDH/ erweiterten Untertitel erstellte Anna Pristouschek für subs, Hamburg. Die wunderbare Filmmusik von Bruno Coulais ist in den Untertiteln so treffend beschrieben, daß ich beim Lesen die entsprechenden Melodien im Ohr und die jeweilige Szene vor Augen hatte! Los geht es mit feierlicher Geigenmusik. Dann gibt es orientalischen Hip-Hop, auch mal cool. Majestätische Orchestermusik erklingt, dann dynamische arabische Musik, auch mal fetzig oder beschwingt, die sich steigert und dann abebbt. Französischer Rap kommt aus dem Radio und heitere chinesische Musik aus einem Park. Der Film klingt aus mit stimmungsvoller House Music. Und hier eine Aufzählung verwendeter Adjektive: Spannungsvoll, bedächtig, geheimnisvoll, dynamisch, sentimental, pulsierend, verspielt, rhythmisch, traurig, emotional, sanft! Alle Beteiligten hoffen, mit ihrer Arbeit möglichst vielen Kinofans die Freude an der „Frau mit berauschenden Talenten“ zu ermöglichen, denen dieses Filmerlebnis sonst verwehrt geblieben wäre. Und um noch einmal auf die eingangs erwähnten Geldscheinbündel zurückzukommen: Egal, ob Zehner, Zwanziger oder Fünfziger: Die Kinoblindgänger gGmbH freut sich, anders als Madame Hasch, über jeden Geldschein, denn das nächste Projekt kommt bestimmt! Die Zählmaschine wäre nicht das Problem, da helfen gerne alle mit…

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Die Blindgängerin und ihr Begleiter Nino. Sie halten Popcorntüten in den Händen. Beide tragen Masken.

Auf der Filmkunstmesse 2020

Hundertprozentige Planungssicherheit gab es noch nie, aber zur Zeit gibt es so gut wie gar keine. Viele Veranstaltungen werden deshalb gleich verschoben oder komplett ins Netz verlegt. Aber nicht die 20. Filmkunstmesse in Leipzig Die „AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater“ entschied, das Festival zwar auch digital, aber hauptsächlich analog stattfinden zu lassen, und setzte damit ein so wichtiges Signal an die Kino- und Filmbranche! Kinoblindgänger durfte zum fünften Mal bei dem jährlichen Branchentreffen dabei sein und ich habe mich während der zwei Tage immer sicher gefühlt! Das lag vor allem an der hervorragenden Organisation und dem ausgeklügelten Hygiene- und Sicherheitskonzept. Aber auch ich hatte mich dieses Mal anders organisiert. Mein Sicherheitskonzept hieß Nino! Wir sind inzwischen nach einigen gemeinsam erlebten Filmfestivals ein eingespieltes Team. Nino, der junge Mann auf dem Foto neben mir, war immer an meiner Seite. Ich mußte also niemanden ansprechen, um mir zu helfen, von A nach B zu kommen. Er hatte sich im Vorfeld um die Akkreditierungsunterlagen und die online-Buchungen der Tickets gekümmert. Wie sonst spontan irgendwo hinzugehen, ging dieses Jahr nämlich gar nicht. Das war ein ganz wichtiger Punkt des Sicherheitskonzepts. Im Kinosaal saßen wir nicht direkt nebeneinander. Die Plätze vor, hinter und neben mir waren immer frei, also eine 50-prozentige Auslastung der Säle bei größtmöglichem Abstand. Der Mittwoch stand zunächst im Fokus Diversität! Bei dem Panel „Female Spirits – weibliche Filme sichtbar machen“ stellten fünf Regisseurinnen ihre Filmprojekte vor. Von Katrin Schlössers Film „Szenen meiner Ehe“ hatte ich schon gehört, weil ich seitens der Produktion um Rat wegen der zu erstellenden Audiodeskription gefragt wurde. Auch bei der anschließenden öffentlichen Podiumsdiskussion ging es um das Thema Vielfalt: „Das Gesellschaftsbild im Film – Deutschland hat viele Gesichter“. Aber sind die auch im Kino zu sehen? Nein, und darüber herrschte auch Einigkeit auf dem Podium! Bei der Gelegenheit wies die Medienwissenschaftlerin Prof. Elizabeth Prommer auf die von einem breiten Bündnis inklusive Kinoblindgänger getragene Initiative „Vielfalt im Film“ (VIF) hin. Am Donnerstag war dann Kino mit Popcorn angesagt und ich war auf Ninos Filmauswahl gespannt. Unter den drei Filmen „Falling“, der deutschen Produktion „Räuberhände“ und „Coup“ von Sven O. Hill, war “Coup”, der Gewinner des Förderpreises Neues Deutsches Kino, unser absoluter Favorit! Diese witzige Mischung von dokumentarischem Material, nachgespielten Szenen und Animationen kommt im nächsten Frühjahr ins Kino, unbedingt vormerken! Nur soviel sei verraten: Es geht um einen Bankräuber, dem man jeden Pfennig gönnt. Der krönende Abschluß der Filmkunstmesse ist jedes Jahr die Preisverleihung der Gildepreise am Donnerstagabend. In der Location „Täubchenthal“ ließen Nino und ich bei etwas kühleren Temperaturen und ein, zwei Gläsern Wein die sehr schönen Tage ausklingen. Die AG Kino hat jedenfalls bewiesen, daß und wie auch ohne Planungssicherheit eine Veranstaltung mit rund 800 Besucherinnen und Besuchern über fünf Tage erfolgreich und sicher über die Bühne gehen kann! Und Nino, hat wie immer viel Spaß gemacht mit dir!

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