Blog Blindgaengerin

März 2015

Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!

Das West-Berlin der 80er Jahre und die Landeier! Bis zum Mauerfall waren für den West-Berliner alle, die jenseits der Transitstrecke, also im Wessiland lebten, die Wessis. Wenn der West-Berliner auf seiner Insel mit der Spezies Wessi in Kontakt kam, belächelte er diese als Landeier. Nach dem Fall der Mauer wurde der West-Berliner, ob er wollte oder nicht, allerdings selbst zum Wessi. Nur für die Ossis hat sich da nichts geändert. In den 70er und 80er Jahren sind sehr viele junge Landeier nach West-Berlin ausgewandert, zumeist Wehrdienstvermeider und Lebenshungrige, die sich auf der Insel der Glückseligkeit fern der heimatlichen Kontrolle einmal richtig austoben wollten. Auch Robert und ich sind als Landeier Anfang der 80er, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Beweggründen, in West-Berlin eingereist. In dem Film „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!“ ist Robert (Tom Schilling) die Hauptfigur, an welcher der Autor und Filmemacher Oskar Roehler seine eigene West-Berliner Zeit abarbeitet. Nach dem Absolvieren des Abiturs an einem Internat im ländlichen Franken hat Robert genug von den ihn dort umgebenen sanftmütigen, verständnisvollen, friedliebenden, in Jesuslatschen und selbstgemachten Batikklamotten schwebenden und „Om“ rufenden Althippies. Mit Irokesenschnitt und versunken in einen schwarzen Ledermantel mutiert er zum Punker. Wenig gefühlvoll bringt er kurz vor seinem Verschwinden die bürgerlichen Zukunfts- und Familiengründungspläne seiner Freundin zum Platzen. Was er sucht, sind Exzesse in jeglicher Hinsicht. Während dieser Zeit war es in Berlin noch unmöglicher als heute, an eine bezahlbare Wohnung zu kommen, und so schlüpft Robert zunächst bei seinem Freund Schwarz, gespielt von Wilson Gonzales Ochsenknecht, unter. Dieser betreibt eine Peepshow, den „Dschungel der Lust“, und um an Bares zu kommen, darf Robert dort die Kabinen vom umhergeschleuderten Sperma reinigen. Der Reinigungsvorgang wird ziemlich detailliert gezeigt und ist, wie auch so manch andere Szene, nicht unbedingt etwas für zartbesaitete Gemüter. Auch Robert leidet unter diesem Anblick. Er sei doch Künstler, er liest anspruchsvolle Literatur und schreibt Gedichte, die in seinem Umfeld jedoch ziemlich verständnislos abgenickt werden. Quasi als Entschädigung führt Schwarz ihn in das Berliner Szene-Nachtleben ein und so trifft Robert in dem Club „Risiko“ auf Szene-Legenden wie Blixa Bargeld, Frontmann der Einstürzenden Neubauten, und Nick Cave. Der Club „Risiko“ war neben dem SO36 in Kreuzberg und der Music Hall in Steglitz einer der angesagten Orte, wo sich die seit Ende der 70er in Berlin entstehende New Wave-Szene tummelte. In der Peepshow windet sich die Tänzerin schlangenhaft zu den Klängen von Sandras Song „In the Heat of the Night“ und bringt die Kundschaft zum Überkochen. Im „Risiko“ dröhnt die mit ganzen drei Akkorden auf der E-Gitarre auskommende Punkmucke mit Grölgesang. Dagegen haben sich „This Is Not a Love Song”, hier in der Version von den Sex Pistols, und „I Wanna Be Your Dog” von Iggy Pop noch als melodiös abgehoben. Die Musik der 80er Jahre war in ihrer Abartigkeit so vielfältig oder in ihrer Vielfältigkeit so abartig, daß für jeden Geschmack etwas dabei war. Wir dürfen dann noch Zeuge von Exzessen jeglicher Art werden, bis die Westberliner Zeit Roberts ein jähes Ende findet, für dessen Gesundheit nur förderlich. Unbedingt erwähnenswert sind Roberts Erzeuger. Die Mutter, einmalig gespielt von Hannelore Hoger, hat trotz gezielten Komasaufens die Geburt ihres Sohnes nicht verhindern können und begegnet ihm mit einer unmöglich zu beschreibenden Abscheu und Ekel. Der vom Alkoholkonsum gezeichnete Vater, ehemaliger Kassenwart der RAF, träumt nur von den guten alten Zeiten und seiner Gudrun Ensslin. Mit der Punkszene hatte ich nichts, mit der Punkmusik nur sehr bedingt etwas am Hut. Trotzdem habe ich mit meinem damaligen Äußeren nur für kurze Zeit wohl so ein bißchen das Klischee des Landeies bedient. Nach den ersten blöden Sprüchen, wie sie nur von Urberlinern kommen können, habe ich sehr schnell gelernt, mich zu wehren, und mittlerweile sprüchekloppe ich mich mit den Berlinern auf Augenhöhe. Für das erste Jahr durfte ich mich bei Benno, einem schwulen Medizinstudenten, in einer Wohnung in Schöneberg einnisten. Wir waren beide illegale Untermieter und nach der „Kündigung“ hat es mich in den Wedding verschlagen. Ins tiefste Kreuzberg, der Nische und dem Tummelplatz der Wessis, habe ich mich nur selten verirrt. Daß sich Roberts und meine Wege gekreuzt hätten, wäre also auch schon von daher höchst unwahrscheinlich gewesen. Aber auch ich habe, wenn ich nicht gerade mit dem Studium beschäftigt war, so meine Erfahrungen in und mit der Stadt gemacht, die ich nicht missen möchte und die in Heidelberg so nicht möglich gewesen wären. Dieser Film sowie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und „Herr Lehmann“ könnten den Schluß zulassen, daß West-Berlin damals nur von auf Staatskosten stets partymachenden jungen Leuten bevölkert wurde, die allmählich im Drogen-, Alkohol- oder sonstigem Szenesumpf versanken. Aber das Leben der „normalen“ Mehrheit bietet naturgemäß kein überwältigend aufregendes Filmmotiv. Wenn sich die Möglichkeit bietet, den Film mit Hörfilmbeschreibung zu sehen, bin ich ein zweites Mal dabei, da waren die Hörfilmbeschreiber sicher ganz schön gefordert!!!

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Das ewige Leben

Dies ist nach „Komm, süßer Tod“, „Silentium“ und „Der Knochenmann“ die vierte Verfilmung aus einer Krimibuchreihe von Wolf Haas, in der sich der auf dem sozialen wie gesundheitlichen Treppchen stets abwärtsbewegende Privatdetektiv Brenner für die Erhöhung der Aufklärungsquote von Verbrechen in Österreich einsetzt. Brenner ist also so eine Art Dauerbrenner. Ohne Souffleur und Greta war ich auf das Deuten von Geräuschen und das Gesprochene angewiesen und prompt begann der Film mit einem tumultartigen Dialog in einer südosteuropäischen Sprache. Im Nachhinein hat dieses erste Nichtverstehen glücklicherweise meinem Verständnis der Handlung keinen Abbruch getan. Danach ging’s nur noch auf Deutsch bzw. Österreichisch, also a bisserl gemächlich und gemütlich weiter. Und genau so wird Brenner in einer Wiener Amtsstube von einer Beamtin erklärt, daß er als – von mir geschätzt – Endfünfziger frühestens mit 84 Jahren mit einer Mindestrente rechnen könne. Arbeitslos, wohnungslos, gesundheitlich angeschlagen und nicht krankenversichert, hat er natürlich kein Boot und auch kein Pferd, aber wie ihm plötzlich einfällt, immerhin ein Haus. Mit seinem Führerschein bewaffnet und dem, was er auf der Haut trägt, schwingt er sich auf sein Moped und macht sich widerwillig, aber notgedrungen auf den Weg zu seinem seit Jahren leerstehenden Elternhaus nach Graz. Dort kommt er im strömenden Regen bei Dunkelheit an und versucht zunächst, den Strom zu reaktivieren. Als ihm das irgendwie gelingt, setzt sich die ewige Schallplatte, und zwar die noch auf dem Plattenspieler ausharrende, in Gang: Eric Burdon mit dem Song „When I was young“. So liebenswert leiernd und knisternd, wie es eben nur eine Schallplatte vermag, singt Mr. Burdon mit seiner unverkennbaren Stimme je nach Stromzufuhr über die längst vergangenen Zeiten. Auch Brenner wird ganz schnell ein Lied von seiner Vergangenheit singen können und müssen. In gelegentlichen Rückblenden ist er als junger Mann mit seinen drei Kumpels, Köck, Aschenbrenner und dem in der Gegenwart nicht mehr auftauchenden „vierten Mann“ zu sehen. Die vier haben gemeinsam die Polizeiausbildung absolviert, sind zusammen verreist und haben so den einen oder anderen Blödsinn angestellt. Den nicht gerade als Sympathieträger durchgehenden Köck sucht Brenner als Erstes auf, um bei diesem seine Waffe, eine Walther PPK, in Bares umzusetzen. Von dieser Art Waffe sind viele im Umlauf. Köck betreibt inzwischen ein mehr schlecht als recht laufendes An- und Verkaufsgeschäft. Gegen den Willen Brenners telefoniert er recht schnell den Aschenbrenner dazu, der als Einziger von der Clique Karriere gemacht hat und als Brigadier der Grazer Polizei vorsteht. Das Auftauchen Aschenbrenners als der personifizierten Polizei löst eine Kette tragischer Ereignisse aus. Während es Brenner gelingt, trotz einer Kopfschußverletzung gerade noch so lebend in einem Krankenzimmer aufzuwachen, hat Köck diesbezüglich weniger oder vielmehr gar kein Glück. Brenner will nicht glauben, was man ihm erzählt, nämlich daß er versucht hätte, sich selbst umzubringen. Fatalerweise hat er aber mit einem dramatischen Gedächtnisverlust zu kämpfen. So nach und nach berappelt er sich wieder, erinnert sich an seine Qualitäten als Privatdetektiv und bringt Licht in das sehr vertrackte Dunkel. Der von Josef Hader wunderbar gespielte Brenner hat als jemand, der nichts zu verlieren hat, vor nichts und niemandem, nicht einmal vor sich selbst Respekt. Das bekommen die ermittelnden Polizisten, die Ärzte und Krankenpfleger und auch die ihn behandelnde und eine Schlüsselrolle einnehmende Psychologin zu spüren. Wer wie ich Freude an (selbst-) ironischen, spöttischen und eindeutig zweideutig zu verstehenden Schlagabtauschen hat, ist in diesem Film bestens aufgehoben. Eine sehr wichtige Rolle spielt die von der vierköpfigen Wiener Band „Sofa Surfers“ beigesteuerte Filmmusik! Brenners Kopfschmerzen waren so drastisch plastisch vertont, daß Ansteckungsgefahr drohte. Die musikalische Untermalung hat mir auch oft geholfen, das Geschehen auf der Leinwand zwischen den Dialogen zu erahnen. Wäre die für tausende von Euro doch bereits produzierte Hörfilmbeschreibung über Greta verfügbar gewesen, hätte ich genauso oft lachen können wie all die anderen Zuschauer! Ich mache jetzt mal eine Milchmädchenrechnung auf: Bei 8,00 Euro pro Eintrittskarte müßten sich nur 200 Leute, idealerweise Kinoblindgänger, zusätzlich den Film anschauen, verteilt auf sämtliche Kinos der ganzen Republik. Damit wären die für Greta anfallenden 1.600,00 Euro schon eingespielt. Das sollte doch zu schaffen sein, oder???

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Deutscher Hörfilmpreis

Zum 13. Mal die Verleihung des Deutschen Hörfilmpreises in Berlin, für mich eine Premiere! Normalerweise schreibe ich über höchstens 130 Kinominuten! Am Dienstag im Atrium der Deutschen Bank sind von 19.00 bis 24.00 Uhr eine Unmenge von Eindrücken auf mich eingeprasselt und ich weiß gar nicht so recht, wie ich da einen roten Faden hineinbekommen kann. Daß ich überhaupt dabei sein durfte, verdanke ich Claudia Schaffer vom DBSV. Als sie von meinem Blog erfuhr, hat sie mich sofort auf die Gästeliste gesetzt, konnte aber noch nicht versprechen, ob das auch klappt. Letzte Woche kam die ersehnte Zusage. Begleitet, mit Getränken versorgt und durch die Massen bugsiert hat mich meine Freundin Pascale. Bei grob geschätzt 900 Gästen kann man schon von Massen sprechen. Wirklich sehr viele trugen den weißen Stock. Wer eigentlich auch einen Preis verdient hätte, ist das Servicepersonal, das ständig und überall Tabletts mit Getränken und Häppchen vom Allerallerfeinsten an Sehenden und Nichtsehenden vorbeibalanciert hat. Da gab es nichts, was es nicht gab, und ich wäre gerne einmal kurz Mäuschen in der Küche gewesen oder vielleicht auch besser nicht. Sich von einer Platte ohne Zerstörung der umliegenden „Kunstwerke“ gezielt ein Häppchen herauszufischen ist, wenn man nichts sieht, ein Ding der Unmöglichkeit. Pascale hat mich treffsicher immer mit dem Besten versorgt, wir sind schon ein eingespieltes Team. Jetzt aber zum eigentlichen Thema! Zuerst einmal ein dickes Dankeschön an den DBSV und alle Mitwirkenden für diesen rundum gelungenen Abend in dem wunderschönen Atrium der Deutschen Bank Unter den Linden. Als schließlich auch der letzte Stuhl seinen Besetzer gefunden hatte, übernahm der TV-Journalist Mitri Sirin das Wort und begleitete uns charmant und souverän durch das zweistündige prallgefüllte Programm des Galaabends. Alle Akteure, ohne die die Institution „Deutscher Hörfilmpreis“ undenkbar wäre, wurden auf der Bühne begrüßt, in ein kurzes Gespräch verwickelt und natürlich immer, besonders die Damen, genauestens beschrieben. Das waren Vertreter des DBSV, die Sponsoren, die Gastgeberin Deutsche Bank, Vertreter aus der TV- und Kinobranche, die Jury, die Schirmherrin Christine Neubauer, Verena Bentele, die ergebnisverkündenden Öffnerinnen und Öffner der roten Briefumschläge und natürlich die glücklichen Gewinner der drei Kategorien. Um allen Gästen zu zeigen, wie wichtig Hörfilmbeschreibungen für Kinoblindgänger sind, wurden aus einer Filmszene zuerst nur die Geräusche abgespielt, dann kam die Hörfilmbeschreibung dazu und im dritten Schritt gab es Geräusch, Hörfilmbeschreibung und Bild. Das war eine sehr schöne Idee. Ich habe mich bei dem Versuch, die Geräusche zu deuten, ganz schön verdeutet. Erst mit der Hörfilmbeschreibung war der Filmausschnitt zu erkennen: Die berühmte Duschszene aus Alfred Hitchcocks „Psycho“. Mitri Sirin hat bei all seinen Gesprächspartnern eine Einschätzung sowohl des bereits Erreichten als auch der Zukunft des Hörfilmes herausgekitzelt. Abgesehen von einigen konkreten Projekten fasse ich das sehr pauschal so zusammen, daß bereits viel geschafft wurde, aber der Weg noch lang und auch ein bißchen steinig ist. Dem schließe ich mich einfach mal an, finde aber, daß in den letzten zwei Jahren ein extrem großer Schritt nach vorne gelungen ist. Ich für meinen Teil habe schon einmal die Ärmel hochgekrempelt und mir spuken auch schon viele Ideen im Kopf rum! Die musikalische Heldin des Abends war Judith Holofernes, begleitet von zwei Musikern ihrer Band. Für sie war das die erste Tuchfühlung mit dem Thema Hörfilm und sie meinte, daß sie mit ihren Songtexten ja auch irgendwie einen Hörfilm schreibt. Das stimmt, bei dem zweiten Song, „Pechmarie“, der mir auch am besten gefiel, hatte ich sofort Bilder im Kopf. Vor ihrem Abschiedssong ist sie auf den Geschmack des Beschreibens gekommen und hat sich gleich an ihren Musikern versucht. Spontan jemanden treffend und ohne ihm zu nahe zu treten zu beschreiben, ist gar nicht so einfach. Einige Male mußte sie sich auch das Lachen verkneifen. Und endlich kamen die Öffnerinnen und Öffner der roten ergebnisverkündenden Briefumschläge zum Zuge. In der Kategorie TV gewann der Film „Landauer – der Präsident“, in der Kategorie Kino der Film „Zwischen Welten“ und mit dem Publikumspreis wurde „Auf das Leben!“ gekürt. Ich dachte gerade so für mich, daß wäre es leider schon gewesen, als die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth in einem roten Mantel und der Regisseur und Oscar-Preisträger Pepe Danquart mit einem schwarzen Hut mit noch einem roten Briefumschlag ins Rampenlicht traten. Frau Roth meinte, die Jury wolle ein Projekt mit einem Sonderpreis belohnen, das sich besonders und wie kein anderes um ein barrierefreies und inklusives Kinoerlebnis für Blinde und Sehbehinderte verdient gemacht hat. Mir ist natürlich sofort die App von Greta und Starks durch den Kopf geschossen und dann gibt Claudia ihrem roten Outfit durch das Aufsetzen ihrer Brille die grüne Note und spricht es aus! Die App von Greta und Starks wird als Projekt mit einem Sonderpreis ausgezeichnet!!! Die App geisterte zwar einige Male während des Abends durch die Gespräche im Saal, aber Frau Roth hat es klipp und klar ausgesprochen. Nur wenn ein Film über Greta verfügbar ist, können Kinoblindgänger entscheiden, wann und in welchem Kino sie den Film sehen möchten. Für diese klaren Worte bin ich ihr wirklich sehr dankbar. Die Freude beim Team von Greta war natürlich riesig und auch das Publikum hat sehr sehr begeistert applaudiert. Das war der krönende und überraschende letzte Programmpunkt des Abends. In wenigen Minuten wurden dann mal eben 900 Stühle beiseite geräumt, um Platz für den geselligen Teil des Abends zu schaffen. Pascale und ich saßen solange auf einer Bank direkt am Küchenausgang und keine Platte mit den Häppchen kam unbeschadet an uns vorbei. Die verbleibende Zeit haben wir dann plaudernd mit dem natürlich überglücklichen Team von Greta, den Herren Ullmann und Kaminski (Herr Kaminski, selbst blind, ist Hörfilmbeschreiber) und einer Kollegin von Eurotape sowie der Hörfilmbeschreiberin Marit Bechtloff und Petra Wagner vom DBSV verbracht. Kurz sprechen konnten wir auch mit Frau Bentele und ihrem Kulturreferenten Herrn Krüger. Frau Roth konnten wir trotz ihres auffallend roten Mantels nicht mehr ausfindig machen. Das war’s für dieses Jahr mit dem Hörfilmpreis, und wenn ich einmal wieder dabei sein darf, immer wieder gerne!!! Jetzt gehe ich aber erst mal wieder ins Kino.

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Das Mädchen Hirut

Der von der UN-Botschafterin Angelina Jolie mit produzierte Film gewann letztes Jahr auf der Berlinale den Panorama-Publikumspreis. Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit in Äthiopien in den 90er Jahren. Äthiopien wurde so, wie es heute besteht, 1995 gegründet und ist eine parlamentarische Bundesrepublik mit einem Präsidenten. Das klingt erst einmal ziemlich modern und aufgeklärt, aber das Schicksal des Mädchens Hirut zeigt, daß die Mädchen bzw. Frauen verachtenden Traditionen gerade auf dem Land noch allgegenwärtig sind. Die 14-jährige Hirut lebt mit ihren Eltern und ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester in der Nähe der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Ihre Eltern bewirtschaften dort einen kleinen Bauernhof. Obwohl auf dem Hof jede Arbeitskraft dringend benötigt wird, setzt sich ihr Vater, der selbst nicht lesen kann, gegen die Mutter durch und erfüllt Hirut ihren sehnlichsten Wunsch, eine Schule besuchen zu dürfen. Was sich für viele Schüler manchmal als lästige Selbstverständlichkeit darstellt, ist für Hirut ein absolutes Privileg, sie ist ja nur ein Mädchen vom Land. Sie lernt fleißig und hängt ihrem Lehrer an den Lippen. Als der ihr mitteilt, daß sie wegen ihrer guten Leistungen eine Klasse überspringen könne, macht sie sich beseelt auf den Weg nach Hause. Diesen Weg geht sie alleine zu Fuß durch eine wunderschöne, aber auch menschenleere Landschaft. Plötzlich kommen mehrere Reiter wie aus dem Nichts auf sie zu galoppiert, treiben sie in ihre Mitte und einer der jungen Männer zieht sie zu sich auf sein Pferd. Diese Bilder kennt man aus Filmen, wenn geflohene Sklaven eingefangen werden, nur daß hier alle dieselbe Hautfarbe haben. In eine dunkle Hütte eingesperrt, wird sie erst geschlagen und anschließend vergewaltigt. Stunden später kommt ihr Peiniger, ein junger Mann, zu ihr in die Hütte, bringt ihr Kaffee und versucht fast zärtlich, sie zu beruhigen. Es sei alles in Ordnung und er werde sie demnächst heiraten. Hirut kennt ihren Peiniger. Er lebt im selben Dorf und hat bereits vergebens bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten. Um doch noch an sein Ziel zu kommen, bedient er sich des althergebrachten und auf dem Land immer noch praktizierten Brauches, seine Erwählte einfach zu entführen. Hirut gelingt es, aus der Hütte zu entkommen und sich ein Gewehr zu greifen. Sie versucht zu fliehen. Als ihre Verfolger sie fast eingeholt haben, lädt sie professionell das Gewehr durch und warnt zuerst verbal und dann mit zwei Warnschüssen. Der dritte Schuß sitzt und ihr Peiniger liegt tot im Gras. Und wieder sitzt Hirut in einer dunklen Hütte, natürlich ohne vorherige ärztliche Versorgung, und zwar im dörflichen Polizeigewahrsam. Auf dem Dorfplatz wird ihr in ihrer Abwesenheit der Prozeß gemacht. Der Vater des Getöteten fordert die Todesstrafe. Hirut müsse dem Brauch entsprechend neben seinem Sohn beerdigt werden. Die meisten teilen diese Ansicht und daß Hirut aus Notwehr gehandelt haben könnte, kommt niemand in den Sinn. Die Anwältin Meaza arbeitet für eine Organisation, die Frauen und Kindern in Not kostenlos Rechtsbeistand leistet. Als sie von Hiruts Schicksal erfährt, macht sie sich sofort von Addis Abeba auf den Weg, um dem Mädchen zu einem ordentlichen Gerichtsverfahren zu verhelfen. Sie verhandelt mit der dörflichen Polizei, um Hirut auf Kaution freizubekommen und ärztlich versorgen zu lassen. Dann ringt sie dem analphabetischen Vater die Unterschrift zur Vertretungsvollmacht ab. Schließlich muß sie Hiruts Alter beweisen und Zeugen für die Tat finden, um nur ein paar Schritte zu nennen. Immer wieder werden ihr von den Männern, ob bei Gericht oder bei der Polizei, Steine in den Weg gelegt. Aber sie schreckt nicht einmal davor zurück, den Justizminister zu verklagen. Sie sieht den Fall Hirut als Musterprozeß, der auf keinen Fall verloren werden darf. Ich glaube, daß der Film nicht nur mich mit einem unguten Gefühl entlassen hat. Auch wenn Hirut freigesprochen wird, weil sie aus Notwehr gehandelt hat, lauert da immer noch die rachesuchende Familie des Toten. Genau am Tag des Kinostarts wurden an einem Berliner Strafgericht der Vater und Onkel eines jungen Deutsch-Libanesen zu einer Geldstrafe verurteilt. Dieser hatte als 15-jähriger seiner Familie gegenüber seine homosexuelle Neigung offenbart. Darauf beschlossen Vater und Onkel, den Jungen ins Ausland zu entführen, um ihn dort in eine Ehe zu zwingen. Unglaublich!!! Im Gerichtssaal war der Autor und Filmemacher Rosa von Praunheim unter den Zuschauern. Mal sehen, vielleicht verfilmt er dieses Schicksal und ich kann irgendwann einen Artikel darüber schreiben.

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Verstehen Sie die Béliers?

Verstehen Sie die Béliers? Bei Paula, der 15-jährigen Tochter der Béliers, hatte ich diesbezüglich keine Probleme. Schwierig bis aussichtslos gestaltete sich das bei dem Rest der Familie, ihren gehörlosen Eltern und dem älteren Bruder, aber Paula hat ja ganz oft für die Zuschauer gedolmetscht. Die vier kommunizieren per Gebärdensprache und man könnte meinen, daß es im Leben der Béliers deshalb still zugeht. Das fehlende Geplapper bei den Mahlzeiten wird durch heftiges Tellergeklapper ersetzt. Die Maman poltert ständig durchs Haus und ich dachte gleich an Holzpantinen. Google hat mich aufgeklärt, daß sie, nicht unbedingt typisch für einen Bauernhof, auf High Heels über den Hof stakst. Paula begrüßt ihre Familie gern mit „Hallo, Ihr Dumpfbacken!“, aber das ist lieb gemeint. Gemeinsam bewirtschaften sie einen kleinen Bauernhof mit Molkerei in der französischen Provinz ungefähr zwei Autostunden von Paris entfernt. Da gibt es lebende Kühe und Hühner, ein Hund meldet sich ständig zu Wort und den neugeborenen Kälbchen werden sogar liebevoll Namen gegeben. Da wäre das kleine Mädchen, das vor einigen Jahren in einer Fernsehwerbung als Urlaubswunsch sehr energisch gefordert hat „Ich will Kühe“, sehr gut aufgehoben gewesen. Gleich zu Beginn des Films hört man Paula zu einem weltweit rauf und runter gedudelten Popsong trällern und bekommt sofort eine Ahnung von ihrem Stimmvolumen. Die Darstellerin der Paula singt übrigens personifiziert. In der Schule muß sie sich für eine Arbeitsgemeinschaft entscheiden und landet eher zufällig in dem von Monsieur Thomasson geleiteten Chor. Dieser fühlt sich in der Provinz total deplaziert und überqualifiziert und macht aus seiner Verachtung den Schülern gegenüber keinen Hehl. Alternativlos schlägt er als Repertoire die Stücke des französischen Chansonniers Michel Sardou vor und ringt den Schülern damit nur ein müdes Gähnen ab. Sie hätten lieber etwas Moderneres gesungen. Michel Sardou ist vor allem mit einigen seiner Chansons aus den 70ern weit über Frankreich hinaus bekannt geworden, z.B. „La Maladie d’amour“, „En chantant“. Den Schülern bleibt nichts erspart und so müssen sie sich einer nach dem anderen beim Einzelvorsingen mehr oder weniger blamieren. Als Paula an der Reihe ist, erkennt Monsieur Thomasson sofort ihr stimmliches Potential und beginnt, sie in Einzelunterricht für die Aufnahmeprüfung des berühmten Chores „La Maîtrise de Radio France“ vorzubereiten. Jetzt geht in Paulas eh schon minutiös durchgeplantem Tagesablauf alles drunter und drüber. Mal muß sie die Eltern wegen deren Geschlechtskrankheit zum Gynäkologen begleiten, mal auf dem Markt beim Käseverkauf helfen, mit dem Tierarzt und überhaupt allen anderen sprechen oder telefonieren. Zu allem Überfluß will ihr Vater auch noch während des gerade anstehenden Wahlkampfes für das Amt des Bürgermeisters kandidieren. Die Eltern leben, wenn auch diskret, ihr Sexualleben trotz ihrer Geschlechtskrankheit aus und auch der sonst so gut wie gar nicht in Erscheinung tretende Bruder macht seine ersten Erfahrungen in dieser Hinsicht. Paula ist in Gabriel verliebt, mit dem sie ein Duo beim Schulkonzert singen soll, hat aber für ihre erste Liebe kaum Zeit. Eines Tages faßt sie sich ein Herz und eröffnet das Gespräch mit ihren Eltern mit dem Satz: „Ich muß euch etwas Wichtiges sagen“. Prompt kommt die Frage, ob sie schwanger sei. Von meiner Mutter kam genau diese Frage, als ich meinen Eltern sagte, daß ich nach Berlin gehen möchte. Nach der ersten Erleichterung beim Verneinen der Frage folgt bei Paulas wie auch damals bei meinen Eltern die Ernüchterung. Aber zuerst sind die Eltern stolze Zuhörer bei dem Schulkonzert. Der Chor singt „La Java de Broadway“ und Paula mit Gabriel als Duo „Je vais t‘aimer“. Beide Chansons weitaus schöner als von Monsieur Sardou gesungen. Während des Konzertes hört man plötzlich nicht mehr den Gesang, sondern ein Geräusch, so wie es Gehörlose hören könnten. Eine Mischung aus einem Dröhnen und Rauschen, so ein bißchen wie in einer Unterwasserwelt. Aber wie soll jemand, der nicht hören kann, beschreiben, was er wahrnimmt und was nicht und wie sich das für ihn anhört? Wenn mich jemand fragt, was und wieviel ich sehen kann, fällt mir das auch immer sehr schwer. Das Finale ist dann so herzzerreißend anrührend, fast ein klitzekleines bißchen kitschig, aber so schön. Paula singt in Paris vor der Jury des berühmten Chors „Je vole“, auch wieder von Michel Sardou, während ihr Lehrer sie auf dem Piano begleitet. Ihren Eltern dolmetscht sie den Text des Chansons per Gebärdensprache. Auch bei diesem Lied kann Michel Sardou Paula nicht das Wasser reichen, finde ich! Starks war dieses Mal solo, also ohne Greta, im Kino, es gab damit nur Untertitel für Gehörlose. Wenn Paula nicht laut gedolmetscht hat, mußte mir meine Freundin Andrea nicht nur kurze Bildbeschreibungen zuflüstern, sondern auch die Untertitel vorlesen.

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Bande de filles

„Bande de filles“ würde man auf Deutsch vielleicht als eingeschworene Mädchenclique übersetzen. Der Film spielt in einer Pariser Vorstadt, deren Bewohner größtenteils afrikanischer Herkunft sind. Die Satellitenstädte vor Paris sind wie wahrscheinlich überall auf der Welt einfach nur scheußliche Ansammlungen von Wohnsilos. Meine Freundin und Begleiterin Pascale, eine Französin, meint, daß man die Architekten, die diese Wohnsilos verbrochen haben, für längere Zeit dort strafwohnen lassen müßte. Weit und breit ist nicht ein grüner Strunk zu sehen und der einzige Platz, an dem sich die Jugendlichen treffen können, ist eine große Betonfläche mit Mulden, die sich bei Regen mit Wasser füllen. Vor einigen Jahren kam es landesweit in mehreren französischen Vorstädten 12 Tage lang zu Ausschreitungen Jugendlicher mit vielen abgefackelten Autos und Gebäuden. Zwei der Pariser Vorstädte, Sevran und Vitry-sur-Seine, waren besonders betroffen. Der damalige Innenminister und als Hardliner bekannte Nicolas Sarkozy ist bestimmt vielen noch mit seinem Spruch in Erinnerung, daß er die Vorstädte mit einem Kärcher säubern wolle! In dem Film spielen aber Mädchen, insbesondere die 16-jährige Marieme, die Hauptrolle. Abgesehen von der Lehrerin, die Marieme kühl mitteilt, daß sie zum zweiten Mal das Klassenziel nicht erreicht habe und deshalb die Schule verlassen müsse, sind alle Protagonisten afrikanischer Herkunft, aber anders als Samba in Frankreich geboren. Marieme muß sich als Älteste von drei Mädchen um ihre jüngeren Schwestern kümmern, was sie auch mit viel Liebe und Geduld tut. Von ihrem älteren Bruder hat sie keine Unterstützung zu erwarten, außer daß er sie physisch wie psychisch drangsaliert. Die Mutter hat einen Putzjob und gibt zu Hause nur eine Gastrolle ab. Von einem Vater fehlt jede Spur. Der Schule kehrt Marieme sofort den Rücken und kommt beim Rumlungern in Kontakt zu drei Mädchen, die sie in ihre „Bande“ aufnehmen wollen. Vorher muß sie sich allerdings beweisen und erpreßt von Jüngeren kleine Geldbeträge. Marieme kann sich sehr gut prügeln und mit kleinen Gesten Druck auf ihre Zielperson ausüben. Sie spielt in einem American Football-Team, bekanntermaßen keine Sportart für Zimperliche. Mit dem erbeuteten Geld fahren die vier Mädchen mit der Metro in die große Stadt Paris und nehmen sich ein Hotelzimmer. Sie baden und schminken sich, ziehen die zuvor geklauten Klamotten an, essen Pizza, trinken Cola, rauchen Shishapfeife und tanzen ausgelassen, sie singen und lachen. Wichtig ist die Musik ihres Idols, der Sängerin Rihanna, mit ihrem Song „Shine bright like a diamond“. Aber am nächsten Morgen ist alles wieder beim alten. Wer von den rivalisierenden Mädchenbanden die coolste ist, wird in Zweikämpfen ausgemacht und da ist so ziemlich alles erlaubt, während die anderen johlend und anfeuernd danebenstehen. Bei dem zweiten Kampf rettet Marieme, die auch ein Messer besitzt, die Ehre ihrer Clique und wird gefeiert. Die mit den Handys aufgenommenen Kämpfe machen natürlich in den Netzwerken die Runde. Marieme ist auf den Geschmack gekommen, Spaß am Leben zu haben, sich immer wieder neu zu stylen. Es fällt ihr immer schwerer, nach Hause zu gehen, obwohl sie das schlechte Gewissen ihren Schwestern gegenüber plagt. Auch ihre erste Liebesbeziehung gestaltet sich schwierig, weil der ewig stänkernde machohafte Bruder allgegenwärtig scheint. Da kommt ihr das Angebot, als Drogenkurier tätig zu werden, gerade recht. Als ihr klar wird, daß das unweigerlich in die Prostitution führt, läßt sie die Hände davon. Völlig niedergeschlagen findet sie sich in einer Sackgasse der Tristesse gefangen. Entweder Putzengehen wie ihre Mutter und ein Kind nach dem anderen bekommen oder die Flucht in die Kriminalität und Prostitution. Die Jugendlichen werden alle von Laien gespielt. Ich hatte den Eindruck, als ob die Mädchen gar nicht bemerkt haben, daß sie gefilmt wurden, sie spielen einfach sich selbst. Die Kraft, Energie und Lebensfreude und andererseits die Tristesse und Hoffnungslosigkeit springen einem dadurch förmlich ins Gesicht. Daß die Vorstellung im Original mit Untertitel gespielt wurde, war uns nicht klar. Pascale hatte deshalb ein bißchen mehr zu tun. Ich konnte zwar fast alles verstehen, aber manchmal haben mich die Mädels und Jungs mit ihrem irrsinnig schnell gesprochenen Slang an meine Grenzen gebracht. Dafür kamen wir in den Genuß der Originalstimmen. Ich habe recht viel über den Film geschrieben, aber dieser lebt weniger von der Handlung als von dem, was man dank der tollen kraftvollen Darsteller mitbekommt und das Fehlen der Hörfilmbeschreibung haben sie so auch noch wettgemacht!

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Heute bin ich Samba

Eine große Hochzeitsgesellschaft feiert in einem Restaurant und tanzt ausgelassen um eine gigantische Hochzeitstorte. Als die Torte genug umtanzt ist, wird sie in die Küche transportiert, portioniert und zum Verzehr auf Teller drapiert. In dieser Großküche begegnen wir zum ersten Mal Samba, gespielt von Omar Sy. Samba reiste vor zehn Jahren nicht so ganz legal aus dem Senegal nach Frankreich ein. Ohne Aufenthaltsgenehmigung hält er sich in Paris mit Gelegenheitsjobs in der Gastronomie über Wasser und unterstützt seine im Senegal lebende Familie. Als ihm eine unbefristete Stelle als Spüler angeboten wird, wendet er sich optimistisch an die Ausländerbehörde, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Da hat er die Rechnung ohne die Behörde gemacht und landet unverzüglich in Abschiebehaft. Die Abschiebehäftlinge sind praktischerweise gleich auf dem Flughafengelände kaserniert. Dort trifft er endlich auf Alice, gespielt von Charlotte Gainsbourg. Alice ist eine der beiden hübschen Sozialarbeiterinnen, die die Abschiebehäftlinge bei der Bewältigung des Papierkrieges unterstützen, der bei den Gerichtsverfahren gegen die Abschiebung anfällt. Sie hat ihr Hedgefondkostümchen und Lederaktenköfferchen gegen einen viel zu großen Mantel und einen Aktendeckel eingetauscht. Nach einem Burnout macht sie die Sozialarbeit so quasi auf Rezept als Therapie. Solch eine Therapie sollte man allen Hedgefondmanagern einmal zwischendurch aufs Auge drücken. Das Ergebnis des Gerichtstermins ist irgendwie kein Ergebnis. Samba wird zwar nicht sofort in ein Flugzeug verfrachtet und abgeschoben, darf aber bis auf Weiteres keinen französischen Boden betreten. Er macht halbherzige Anstalten, einem Flugzeug hinterherzulaufen, ist natürlich zu langsam und landet, wo auch sonst, auf französischem Boden. Die guten Ratschläge, sich erst einmal möglichst unauffällig zu verhalten, sich also in Luft aufzulösen und von derselben zu ernähren, machen ihn sehr wütend. Sein Leidensgenosse, Wilson, ein als Brasilianer getarnter Algerier, nimmt Samba unter seine Fittiche. Allen Warnungen zum Trotz jobben sie sich durch Paris und verpassen dem Film als Duo eine großartige komödiantische Note! Den französischen Regisseuren ist es wie schon bei dem Film „Ziemlich beste Freunde“ gelungen, ein trauriges Thema als Komödie aufzubereiten. In beiden Filmen wird bei der unbequemen Realität nicht weggeschaut, aber mit einer gewissen Leichtigkeit bekommen sie immer wieder den Dreh zur Komödie hin. Dabei hilft auch die wunderbare Filmmusik, die Samba-Rhythmen machen einfach gute Laune. Selbst die Sozialarbeiterin Alice kann sich dem nicht entziehen und tanzt ausgelassen. Das Duo ist mit ständig wechselnden, meist schlecht gefälschten Ausweispapieren unterwegs und Samba bekommt allmählich eine Identitätskrise. Ein bißchen Trost findet er in der ganz allmählichen und zaghaften Annäherung zu Alice, schwierig zu sagen, wer der Zögerlichere von den beiden ist. Die Synchronstimmen der beiden sind so gut getroffen, daß ich mir unter Samba einen großen kräftigen Mann und unter Alice ein zerbrechliches Wesen mit einem permanenten großen Fragezeichen im Gesicht vorgestellt habe. Daß ich da gar nicht so falsch lag, hat mir meine Freundin Andrea, die u.a. für Greta einspringen mußte, bestätigt. Verena Bentele, Bundesbeauftragte für die Belange Behinderter und selbst blind, hat in ihrem Buch geschrieben, daß der Zuflüsterer im Kino niemals geräuschvoller sein dürfe als der nebenan sitzende Popcornesser. Wir hatten einen Popcornesser neben uns sitzen, der jedes Korn vorm zum Munde führen unter den vielen anderen Popcörnern so geräuschvoll ausgewählt hat, daß Andrea mir die Bilder mit normaler Lautstärke hätte erklären können.

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Als wir träumten

Der Film lief als offizieller Wettbewerbsbeitrag bei der gerade vergangenen Berlinale. Der Traum, einen Bären zu ergattern, ist leider nicht in Erfüllung gegangen. Letzte Woche war der reguläre Kinostart. Während der Festspiele wurde der Film als einer von dreien mit einer live eingesprochenen Audiodeskription gezeigt. Diese Vorstellung habe ich allerdings verpaßt. Schade ist, daß wieder einmal eine doch schon vorhandene Audiodeskription nicht über die App von Greta verfügbar ist und damit kaum gehört irgendwo rumschmort. Also habe ich völlig unbegleitet versucht, so viel wie möglich von dem Geschehen auf der Leinwand mitzubekommen. Geholfen hat mir Dani in seiner Funktion als Erzähler. Er ist einer der Jungs, die sich in Leipzig kurz nach der Wende orientierungslos herumtreiben und getrieben werden. Oft sitzen die 15- bis 16-jährigen in irgendwelchen Kellern und schmieden Pläne über die Gründung eines Technoclubs. Dabei fließt sehr viel Alkohol, es wird natürlich ständig geraucht, und auch Drogen sind im Spiel. Autos knacken ist fester Bestandteil der Freizeitgestaltung und Freizeit scheint reichlich vorhanden zu sein. Die Schule kommt eindeutig zu kurz und der Einfluß der Erziehungsberechtigten ist nicht der Rede wert. Jedenfalls geht ständig etwas zu Bruch, oft ist das Geräusch von berstendem Glas und Metall zu hören. Gelegentlich ist wohl auch das ein oder andere Nasenbein darunter, den zahlreichen Prügeleien geschuldet. Als nach einigen Anlaufschwierigkeiten der Traum vom Technoclub verwirklicht scheint, schlägt die Mißgunst gnadenlos zu. Glatzköpfige Schlägertypen machen den Clubgründern und ihrem Glauben an die Marktwirtschaft das Leben schwer. Irgendwie geht einfach alles schief, natürlich auch in der Liebe. Wie unkompliziert war dagegen die Welt gerade zwei Jahre zuvor, wenn auch nur noch für kurze Zeit. In den Rückblenden sind die Jungs als 13-jährige Schüler fest eingeschlossen in dem Schul- und Freizeitsystem der DDR zu sehen, wohlbehütet als Pioniere. Einer der Jungs bekommt mächtig Schwierigkeiten, weil er sich weigert, einen Text über die glorreiche Sowjetarmee zu lesen. Bei der Lehrerschaft ist schon die erste Nervosität wegen der wöchentlichen Montagsdemonstrationen zu spüren. Mit einer lächerlichen Begründung warnt sie ihre Schüler, daran teilzunehmen. Aber auch die Lehrer waren ja nur ein Rädchen im Getriebe. Der Film mit seinen von den Darstellern toll gespielten Figuren hat jedenfalls die Situation Jugendlicher und ihre Gefühle kurz nach der Wende glaubhaft gezeigt. Obwohl der Film in Leipzig spielt: Gesäggselt wurde leider so gud wie nie, warum eigentlich nicht? Grundlage für das Drehbuch war das gleichnamige Buch von Clemens Meyer. Trotz höchster Aufmerksamkeit im Kinosaal gebe ich aber keine Garantie, das Geschehen auf der Leinwand richtig wiedergegeben zu haben. Als nächstes geht’s mit Samba, der Mädchenbande und den Béliers nach Frankreich, ich freu mich schon!

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