Blog Blindgaengerin

Adele

Die Blindgängerin sitzt vor einem TV-Bildschirm, auf dem Bibiana Beglau zu sehen ist. Mit einem Weinglas prostet sie der Schauspielerin zu.

Noch einmal in Feierlaune

„Hallo, mein Name ist Bibiana Beglau. Ich bin Schauspielerin. Und eigentlich würden Sie jetzt im Publikum sitzen und ich würde auf der Bühne stehen, um die Laudatio zu verlesen. Nun also auf diesem Wege… Der Deutsche Hörfilmpreis 2020 in der Kategorie „Dokumentation“ geht an Kinoblindgänger und 48hearts für die herausragende Audiodeskription für „For Sama“! Und so beendete Bibiana ihre Videobotschaft: „Ich gratuliere euch von ganzem ganzem Herzen und wünsche euch, daß ihr euch wenigstens im kleinen Kreis treffen und feiern könnt. Prost, habt’s gut, tschüss!“ Da konnte ich nicht anders. Ich habe mich sofort mit meinem Glas Rosé direkt vor unseren Fernseher gesetzt und Bibiana wenigstens virtuell zugeprostet, um ihr auf diesem Weg für die Laudatio zu danken. Die kam nämlich von Herzen! Gleich danach wurde unser Videoclip eingespielt, für den fast alle an der Audiodeskription Beteiligten in den loftigen Räumen von speaker-search/48hearts zusammengekommen waren. Leider nicht dabei sein konnte Lena Hoffmann. Sie übernahm wie bei allen Produktionen von Kinoblindgänger die Redaktion des Skripts. Sie arbeitet supergründlich, gewissenhaft und schaut immer noch einmal ganz genau hin! Nur bei einigen wirklich schockierenden Bildern, die das Leid der Kinder im syrischen Bürgerkrieg zeigten, war ihr das nicht möglich, sie war zu der Zeit schwanger. Wie so oft rettete mich mein Partner Jürgen Schulz, der einsprang, denn die Zeit war verdammt knapp! Der originale Trailer, für den wir auch kurzfristig eine AD erstellten, bietet eine kurze Kostprobe von der großartigen Leistung des Teams: Jetzt zurück zum Hörfilmpreis: Zwischen den Laudationen für alle Preisträgerinnen und Preisträger, deren Clips und den Videobotschaften von Prominenz aus Film, Politik und dem DBSV meldete sich immer wieder Steven Gätjen zu Wort. Zum dritten Mal in Folge moderierte er in seiner gewohnt charmanten und lockeren Art die Preisverleihung. Dieses Jahr allerdings aus seinem Lieblings-Café in Hamburg. Als in dieser Hinsicht alter Hase weiß er genau, worauf es ankommt: So viel wie möglich zu beschreiben! Bei unserem Videoclip hörte sich das unter anderem so an: „Das Audiodeskriptions-Team ist in Feierlaune und freut sich der Reihe nach aus dem Studio auf einem grünen Samtsofa vor einer unverputzten Mauer.“ Ergänzen möchte ich, daß immer, bevor auf dem Sofa jemand spricht, ganz kurz ein Paar Hände zu sehen ist, daß sich an dem Paket mit den ADeles zu schaffen macht. Die Preise bekamen wir vorab per Post zugeschickt. Zum Schluß stehen wir zu acht um den schwarzen Flügel herum, auf dem die stattliche ADele aus Bronze ihren dauerhaften Platz gefunden hat. Einige halten eine ADele aus Keramik und alle ein Glas Champagner in der Hand, danke und Prost, ADele! Das besagte grüne Samtsofa steht übrigens eigentlich bei speaker-search im Raum neben der Sprecherkabine vor einer zwecks Schallschutz mit Stoff bezogenen Wand. Dort sitze ich hoffentlich bald wieder und spitze die Ohren, wenn ich beim Einsprechen von Audiodeskriptionen wie natürlich auch bei der von „For Sama“ die Sprachregie führe. Einen Vorteil hat die Online-Preisverleihung, man kann sie sich, natürlich mit unserem Video, jederzeit und immer wieder anschauen: Aber live bleibt doch live! Hoffentlich können wir den nächsten Deutschen Hörfilmpreis wieder in der realen Welt feiern und von Angesicht zu Angesicht anstoßen, so daß die Gläser auch klingen!

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Der Ausstellungsführer, dargestellt, von Lars Eidinger, steht vor einer einer Wand, an der mehrere gerahmte Bilder aufgehängt sind. Sie zeigen moderne, in der Ausstellung als "entartet" bezeichnete Kunst.

Das “Werk ohne Autor”…

…hat mich ohne Vorwarnung eiskalt erwischt! Kaum im extrem bequemen Sessel in einem der stylischen Kinosäle des Berliner Delphi Lux eingekuschelt, schoß mir durch den Kopf: „Was hätten die damals wohl mit mir angestellt? Vielleicht dasselbe wie mit Elisabeth?“ Im Frühjahr 1937 besucht die hübsche und lebenslustige junge Frau mit ihrem fünfjährigen Neffen Kurt in Dresden eine Wanderausstellung über entartete Kunst. Der Ausstellungsführer (Lars Eidinger) gibt zu den Exponaten namhafter Künstler seinen braunen Senf. Den verschärft er dann sinngemäß mit folgender Bemerkung: „Nur Betrachter mit krankhaft sehgeschwächten Augen könnten dies als Kunst bezeichnen und deren Leben müßte sowieso als nicht lebenswertes ausgemerzt werden.“ Das hat gesessen! Als Elisabeth, sehr intensiv und berührend gespielt von Saskia Rosendahl, diese Worte hört, ahnt sie noch nicht, welche grausame Wendung ihr Leben nur ein Jahr später nehmen wird. Bei Elisabeth ist es kein Augenleiden, sondern eine in einem zweifelhaften Verfahren diagnostizierte Schizophrenie. Damit fällt sie unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Dort ist die Zwangssterilisation von vermeintlich genetisch Kranken unter anderem bei Schizophrenie und erblicher Blindheit und Taubheit vorgesehen. Hilflos muß Elisabeths Familie zusehen, wie sie abgeholt, in einen Krankenwagen verfrachtet und abtransportiert wird. Dieses Drama bleibt auch dem nun sechsjährigen Kurt nicht erspart. Mir gingen ihre verzweifelten Schreie und die Brutalität, mit der sie überwältigt wird, lange nicht aus dem Kopf. Noch beklemmender ist ihr von vornherein aussichtsloser Versuch, den Leiter der Dresdner Frauenklinik, Prof. Seeband (Sebastian Koch), von der Durchführung der Zwangssterilisation abzubringen. Ganz im Gegenteil, von Elisabeths Auftritt gereizt, setzt der SS-Obersturmbannführer noch eins drauf, nämlich ein rotes Pluszeichen in ihre Akte. Das ist ihr Todesurteil. Im Film wird Elisabeth im Februar 1945 mit einigen anderen Frauen vergast. Aber mußte das wirklich sein, den qualvollen Tod der entblößten Frauen bis zum letzten Atemzug in der Gaskammer mit der Kamera einzufangen? Zumal seit 1943 vor allem systematisches Aushungern und das Verabreichen überdosierter Medikamente die Tötungsmethoden in der Erwachsenen-Euthanasie waren. Nur die Namen, aber nicht die Figuren in „Werk ohne Autor“ sind frei erfunden. Denn inspiriert hat den Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck das Leben und Wirken eines Anderen. Der 1932 in Dresden geborene Gerhard Richter gilt als Deutschlands bedeutendster zeitgenössischer Maler und genießt Weltruhm. Ich – zugegebenermaßen eine Banausin rein visueller Kunst – scheine die einzige zu sein, der dieser Künstler bis jetzt kein Begriff war. Der Figur der Elisabeth liegt das Schicksal von Richters Tante Marianne Schönfelder zugrunde. Ihr Tod ist in einer Akte der sächsischen Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz, einer Tötungsanstalt für psychisch und geistig Erkrankte, auf den 16. Februar 1945 datiert. Man geht davon aus, daß sie dort elend verhungerte. Vielleicht veranlaßte auch die – wie ich finde – unnötige Abweichung von der Realität Gerhard Richter zu seiner Kritik an von Donnersmarcks Werk, hier nachzulesen: http://www.spiegel.de/kultur/kino/gerhard-richter-ueber-henckel-von-donnersmarck-er-hat-es-geschafft-meine-biografie-zu-missbrauchen-und-uebel-zu-verzerren Aber jetzt war auch im Film der Krieg vorbei und meine düsteren Gedanken verflogen. Die nächsten 20 Jahre dauerten im Kino zwei Stunden und die vergingen wie im Flug! Daß sich Kurt (Tom Schilling), inzwischen Student der Malerei, ausgerechnet in die bildhübsche Tochter des Mannes verliebt, der seine Tante in den Tod geschickt hat, hat sich nicht der Regisseur, sondern das Leben ausgedacht. Und die junge Frau, gespielt von Paula Beer, heißt auch noch Elisabeth. Gerhard Richters erste große Liebe hatte ebenfalls denselben Vornamen wie seine Tante Marianne und war die Tochter des Gynäkologen und SS-Arztes Heinrich Eufinger. Über den an Richters Biographie angelehnten Film wurde seit der Premiere in Venedig im September extrem heftig und kontrovers diskutiert. Ich habe versucht, alles vorher Gehörte auszublenden, und bin nun ein bißchen hin- und hergerissen. Tendenz aber positiv, allein schon wegen des ersten Teils! Und allen Kritikern zum Trotz ist „Werk ohne Autor“ gleich zweimal für den Oscar nominiert, herzlichen Glückwunsch! Wenn ich das richtig sehe, ist er der einzige unter den vielen Oscar-Kandidaten, der im Kino mit Audiodeskription und erweiterten Untertiteln über die Greta und Starks App erlebbar ist. Das ist eigentlich eine sehr traurige Bilanz! Viele Geschehnisse, vor allem die, die nur mit Musik unterlegt waren, hätte ich ohne Hörfilmbeschreibung nicht verstanden. Und wer sonst hätte mir die vielen Bilder und modernen Kunstwerke beschrieben? Die sehr gut gelungene Audiodeskription hat gleich zwei Autoren, Katrin Reiling und Klaus Kaminski. Redaktion führten Noura Gzara und Roger Zepp. Ganz besonders hat mich gefreut, die mir vertraute Stimme des Sprechers Andreas Sparberg zu hören! Die Audiodeskription konkurriert als eine von fünf Nominierten beim Deutschen Hörfilmpreis im März um eine Adele, meine Glückwünsche auch hierzu! Die Autorin des Blogbeitrags macht jetzt Schluß, die hat’s nämlich schon wieder erwischt, diesmal aber nur erkältungsmäßig.

Das “Werk ohne Autor”… Read More »

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