Blog Blindgaengerin

März 2019

Robert Redford in blauem Jeanshemd und brauner Wildlederjacke. Die Haare zerzaust, der Ausdruck zwischen Lächeln und Grinsen. Mit der erhobenen rechten Hand formt er eine Pistole nach. Sie zielt direkt auf den Betrachter.

Ein Gauner und Gentleman

„Jetzt oder nie, her mit der Marie!“ Nix da, die hat zu tun und bleibt schön auf ihrem Filmstreifen sitzen! Aber nicht Kinoblindgängers Maskottchen mit diesem wunderschönen Namen ist das Objekt der Begierde, sondern das liebe Geld. Die einen sagen auch Kohle, Asche, Schotter oder Kies. Die Österreicher nennen es eben Marie. Österreichische Bankräuber übrigens auch, so z. B. in dem Song der Band „Erste Allgemeine Verunsicherung“ über einen Banküberfall. Beweis ist obiges Zitat aus dem Songtext von 1985. Mit gleich mehreren Banküberfällen hat es Marie, so nennt Kinoblindgänger die barrierefreie Filmfassung, gerade zu tun bei „Ein Gauner und Gentleman“! Seit dem 28. März macht Robert Redford als Forrest Tucker diverse Banken in den Vereinigten Staaten unsicher, auf über 100 Leinwänden in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Überall dort kann dank der Marie, also mit der Audiodeskription und den erweiterten Untertiteln über die Greta und Starks App, die Verfolgung aufgenommen werden! Aber mit Banküberfällen hat sich die Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH die nötige Marie für die Produktion der Marie nicht ergaunert. Das könnten die auch gar nicht! Forrest Tucker beherrscht diese Disziplin dafür um so besser und den Bankräuber aus Leidenschaft hat es wirklich gegeben. Aus dessen langen Karriere hat sich der Regisseur David Lowery für das Drehbuch nur ein paar Monate aus dem Jahr 1981 herausgepickt. Da war Forrest 71 Jahre alt und trotz vieler Gefängnisaufenthalte kein bißchen überfallmüde! Robert Redford, nun etwas über 80, möchte seine ebenfalls sehr lange Karriere mit der Rolle als Forrest beenden. Sie ist ihm auf dem Leib geschneidert. Aber vorher muß er noch einige Banken überfallen und ein akustischer Beweis, wie ruhig, geschmeidig und höflich er dabei vorgeht, ist dieser Hörschnipsel: Fehlt eigentlich nur noch, daß sich Forrest namentlich vorstellt. Soweit geht er aber dann doch nicht. Als er die bezaubernde Jewel (Sissy Spacek) kennenlernt, behauptet er, sein Name sei Bob und er verdiene sein Geld als Handelsvertreter. Wenn er nicht gerade Banküberfälle plant oder Bankfilialen seine Besuche abstattet, verbringt er jede freie Minute mit ihr und sie reden über Gott und die Welt. Da haben sich zwei einsame Seelen getroffen und gefunden. Sie nähern sich ganz vorsichtig an und es ist eine große Freude, die beiden zu beobachten. Nur mit den Ohren geht das jetzt und hier ansatzweise mit Hörschnipsel Nummer zwei: Aber kann das mit den beiden etwas werden? Zumal sich das Netz der Ermittlungsbehörden um Forrest immer enger zuzieht. Den scheint das aber nicht im Geringsten zu beunruhigen. Er und seine zwei Komplizen, einer wird von Tom Waits gespielt, machen munter weiter. Mit dem Polizisten John Hunt (Casey Affleck) spielt er sogar ein bißchen Katz und Maus. Vielleicht ist Forrest deshalb die Ruhe in Person, weil er seine vielen Gefängnisaufenthalte meistens mit spektakulären Ausbrüchen abkürzen konnte. Diese werden, 16 an der Zahl, nacheinander in kurzen Szenen und ohne ein gesprochenes Wort gezeigt. Die ersten sechs gibt’s im dritten Hörschnipsel: Besonders dieser letzte Schnipsel beweist, wie unverzichtbar die Audiodeskription ist, um der Handlung folgen und den Film genießen zu können. Den Text der Audiodeskription erarbeiteten Inga Henkel und ich, die Redaktion machte Lena Hoffmann. Wir hatten alle drei sofort eine Frauenstimme für das Einsprechen des Textes im Ohr und entschieden uns schnell für die sehr erfahrene Ilka Teichmüller als Sprecherin. Ihre Stimme hebt sich deutlich von denen der Protagonistinnen ab. Sie klingt ein bißchen rau, ein bißchen energisch, aber auch einfühlsam, je nach der Situation. Eben einfach passend zum Gauner und Gentleman! Für die fantastische Filmmusik, die einen in die Zeit Ende der 70er, Anfang der 80er driften läßt, fallen mir Attribute ein wie: Leicht, beschwingt, spannungserzeugend, melancholisch, traurig, fröhlich und auch rockig! Unter die meist instrumentale Musik mischen sich Stücke von Scott Walker, Jackson C. Frank und mein absoluter Favorit: The Kinks mit Lola! Und jetzt ist der Film leider schon zu Ende und ich spreche noch ein letztes Mal über das liebe Geld. Selbiges wird nämlich dringend benötigt, um weitere so tolle Filme barrierefrei machen zu können. Damit die Kinoblindgänger gGmbH nicht doch unter die Bankräuber gehen muß, verweise ich hier auf die Seite https://www.kinoblindgaenger.com/spenden/ Dort gibt es mehrere Möglichkeiten, die Marie zu unterstützen. Ich sage schon einmal vielen Dank!

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Auf einem Badezimmer-Waschbecken stehen links und rechts außen zwei Zahnputzbecher mit Zahnbürsten darin. In der Mitte über dem Wasserhahn hängt das Cover einer LP. Darauf vor dunkelblauem Hintergrund Heinz Rudolf Kunze. Er trägt ein rotes Jackett und springt in die Luft. Dabei hält er eine weiße halbakustische Gitarre. Der Titel der LP lautet "Dein ist mein ganzes Herz".

Wie gut ist deine Beziehung?

Was für eine Frage! Ich taste mich an dieses Thema ganz vorsichtig mit Heinz Rudolf Kunzes größtem Hit von 1986 heran. Das ist nämlich ein Liebeslied! „Wir haben uns auf Teufel-komm-raus geliebt.“ So leidenschaftlich geht‘s in „Wie gut ist deine Beziehung?“ nicht zu. Längst hat sich bei Steve (Friedrich Mücke) und Bob (Bastian Reiber) Beziehungsroutine eingeschlichen, als es eines Tages passiert: „Dann kam er und wir wußten nicht mehr weiter.“ Harald (Michael Wittenborn) heißt er. Der hat es aber weder auf Steve noch auf Bob abgesehen. Das wäre auch wenig erfolgversprechend. Die beiden Anfang 40-jährigen Softwareentwickler sind einfach nur gute Freunde. Steve führt seit einigen Jahren mit Carola (Julia Koschitz) und Bob mit Yvonne eine gute Beziehung. Glauben die beiden Männer jedenfalls. Aber zumindest Bob irrt sich gewaltig. Für ihn kommt der Teufel Harald wie aus dem Nichts. Und zu seinem Entsetzen ist der Neue deutlich älter und auch noch Tantra-Lehrer. Im Gegensatz zu Bob weiß Yvonne ganz genau, was zu tun ist, und setzt ihn kurzerhand vor die Tür. So was soll’s nicht nur im Film geben. Aber das, was diese Trennung bei Steve auslöst, schon. Steve befürchtet jetzt auch für sich das Schlimmste und doktert fast paranoid solange an seiner eigentlich intakten Beziehung herum, bis diese beinahe in die Brüche geht und dann wirklich gerettet werden muß. Ein typischer Fall von Verschlimmbesserung! Ausgedacht hat sich das der Regisseur Ralf Westhoff und ich hatte wie alle im Kinosaal für knapp zwei Stunden meinen Spaß! Ich mag’s, wenn verbale Fetzen und Spitzen durch die Luft fliegen. Und das auch noch von einem rundum sympathischen Ensemble. Da haben die Beziehungen garantiert gestimmt! Aber irgendwas sträubt sich in mir, bei der emotionalsten und intimsten Bindung zwischen zwei Menschen von einer „Beziehung“ zu sprechen. Heinz Rudolf Kunze geht das wohl nicht anders! „Was sind das bloß für Menschen, die Beziehungen haben, betrachten die sich denn als Staaten? Die verführen sich nicht, die entführen sich höchstens.“ Es kommt fast einer Entführung gleich, als Steve Carola eines Abends überrumpelt und geheimnistuerisch von ihrer geliebten Couch wegschleppt. Sein Plan, den Abend romantisch ausklingen zu lassen, geht allerdings nicht auf. Carola schläft völlig erschöpft ein. „Die enden wie Diplomaten.“ Und zwar wie gescheiterte! Steve gesteht sich ein, daß wenn er nichts gemacht hätte, auch gar nichts passiert wäre. Eine großartige Erkenntnis! Carolas beste Freundin Anette, sehr cool gespielt von Maja Beckmann, hält nichts von Diplomatie im Beziehungstheater. Sie bevorzugt die Hau-drauf-Methode. Eine Beziehung kommt für sie nur in Form einer Diktatur in Frage. Deshalb ist sie wahrscheinlich auch Single. Aber auch hinter ihrer rauhen Schale steckt ein weicher Kern. Als sich Steve endlich auf den Weg macht, sich mit Carola auszusprechen, gibt Anette ihm den Tip, wo er sie findet. Er müsse nur der Spur der Tränen folgen, das hat sie so schön gesagt! Und jetzt zu meiner Beziehung zur Greta App, die wieder einmal hervorragend war! Die Sprecherin Ilka Teichmüller hat sich in den ersten extrem dialoglastigen Minuten in jeder noch so kleinen Pause mit knappen Informationen zu Wort gemeldet, ohne gehetzt zu klingen. Dafür wurde z.B. bei der Yogasitzung kein Wort gesprochen und es war schön, nur ihrer Stimme zu lauschen. Daß ich die Übungen beinahe hätte mitmachen können und auch sonst immer im Bild war, ist das Verdienst des Hörfilmbeschreiber-Teams. Beteiligt an der Hörfilmfassung waren: Filmbeschreibung: Martina Reuter, Klaus-Jörg Kaminski Redaktion: Noura Gzara Aufnahmetechnik: Milan Pfützenreuter Regie: Klaus-Jörg Kaminski, Roger Zepp Und jetzt noch einmal Herr Kunze bitte: „Wo du nicht bist, kann ich nicht sein.“ Ja, unbedingt, aber muß das auch schon frühmorgens im Badezimmer sein? Wenn’s nach mir bzw. uns geht, auf keinen Fall! Mich schaudert’s immer wieder, wenn sich, wie in deutschen Filmen sehr beliebt und so auch hier, die Paare gleich morgens zähneputzend so schrecklich wach und angeregt unterhalten. Aber: „Ich möchte gar nichts andres ausprobieren.“ Stimmt zu 100 %! Ich hoffe, Heinz Rudolf Kunze verzeiht mir, daß ich sein Lied ein bißchen zerstört habe. Zur Versöhnung schmettere ich zum Schluß aus voller Kehle: „Dein ist mein ganzes Herz, du bist mein Reim auf Schmerz. Wir werden Riesen sein, uns wird die Welt zu klein!“

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